Ich versprach dir die Liebe: Roman (German Edition)
Aufwachraum neben einem achtjährigen Jungen und schrieb meinen Bericht. Wir konnten ihm nicht helfen. Zwar würde sich anhand der Biopsie entscheiden, wie man ihm sein Leiden erleichtern konnte, trotzdem würde der Junge sterben, ehe er die Grundschule hinter sich hatte.
Carol glitt lächelnd ins Zimmer und setzte sich neben mich. Sie hatte die OP -Maske heruntergezogen, aber ihr schwarzes Haar steckte noch unter der Haube. Ihr warmer Blick sagte mehr als die leise Begrüßung.
»Ich weiß nicht, wie du es fertigbringst, mit Kindern zu arbeiten«, sagte ich und lehnte mich zurück.
Sie überflog meinen OP -Bericht. »Oh Scheiße. Hirnstamm-Gliom. Armer kleiner Kerl.« Sie blickte sich flüchtig um, ehe sie meine Hand nahm.
Ich wechselte das Thema. »Und was hast du gerade operiert?«
»Oh, etwas Einfaches. Eine Pylorusstenose. Manche Dinge sind wirklich leicht zu reparieren. Ein sechs Wochen alter Säugling wurde wegen schwallartigen Erbrechens eingeliefert. Ich habe ihn zunächst rehydriert, dann untersucht und sofort den Grund gefunden. Die OP ging schnell, war unproblematisch, und der Kleine wird ein ganz normales Leben führen können. Happy End. Das ist zwar nicht immer so, aber es endet häufiger glücklich als unglücklich.«
»Für den Kleinen hier gibt es kein Happy End«, sagte ich und zeigte auf den Krankenbericht des Jungen.
Sie zog meine Hand an sich, küsste sie flüchtig und ließ sie wieder los. »Man kann eben nicht alles unter Kontrolle bringen.« Sie strich mir mit dem Finger über die Wange. »Weißt du, was ich ganz besonders an dir liebe? Dass dir deine Patienten ehrlich am Herzen liegen.«
»Dir aber doch auch«, entgegnete ich, aber mein Magen flatterte. Sie liebte etwas an mir? Sogar besonders? Klar, wir schliefen miteinander, aber selbst in den lustvollsten Momenten war keinem von uns je das Wort »Liebe« über die Lippen gekommen.
Carols winziger Patient begann so laut zu jammern, dass man ihn durch die Glasscheibe hörte. Carol sprang bereits auf, ehe die Krankenschwester den Mund aufmachen konnte.
»Dr. Wentworth? Ich brauche eine Unterschrift für ein Schmerzmittel.«
»Komme sofort«, antwortete Carol und wandte sich zu mir. »Wir könnten doch heute Abend zu Hause bleiben und morgen früh an den Strand fahren.«
»Gern«, erwiderte ich. »Bleiben wir daheim.« Das Wort hallte in mir nach. Daheim. Das Wort. Das Wort Liebe. Bei Carol fühlte ich mich immer mehr wie daheim. Beinahe hätte ich ihr eine Liebeserklärung gemacht, aber ich schluckte sie schnell hinunter. Die einzige Frau, der ich je eine Liebeserklärung gemacht hatte, war Elle.
Und doch: Als ich Carol nachblickte, wie sie den Raum durchquerte, als ich ihr zusah, wie sie die Schmerzmittel verschrieb und sich über das Bettchen des Babys beugte, um es zu beruhigen, wurde mir klar, dass es Dinge gab, die ich auch an dieser Frau liebte. Und zum ersten Mal spürte ich, dass ich vielleicht glücklich werden könnte, wenn ich sie an mich heranließe und mir selbst gestattete, sie zu lieben.
Am nächsten Tag fuhren wir über das Wochenende zum Strandhaus ihrer Familie in den Hamptons. Obwohl ich schon früher dort gewesen war, sah ich den Ort plötzlich mit anderenAugen. Trotz meines Wunsches, nach der Facharztausbildung wieder in meine Heimatstadt zurückzukehren, erkannte ich die Reize des Großstadtlebens. Zumindest die, die Carols sozialem und wirtschaftlichem Status entsprachen. Eine Wohnung mit Blick auf den Park und mit einem Türsteher, ein Zweitwohnsitz am Meer. Ich liebte das Meer, sogar bei Regen. Nein, schlecht war das nicht!
An diesem Abend kuschelten Carol und ich im luxuriösen Ferienhaus der Familie vor dem riesigen Kamin. Sie war so ruhig und still, dass ich dachte, sie schliefe. Das gleichmäßige Rauschen der Brandung und der Regen, der unaufhörlich auf das Dach prasselte, wirkten einlullend. Wie schön das Leben doch sein konnte, dachte ich. Ich hatte alles, was man sich nur wünschen konnte – einen tollen Beruf und eine wunderschöne Freundin. Und ganz leise flüsterte ich die Worte: »Ich liebe dich.« Vielleicht war es nur eine Art Test, sozusagen eine erste Anprobe.
Unvermittelt richtete Carol sich auf und blickte mich total verunsichert an. Nie hätte ich gedacht, dass ich bei ihr einmal den Part des Stärkeren übernehmen müsste. Aber ihre Stimme bebte. »Was hast du gerade gesagt?«
Ich zögerte nur einen kurzen Moment, aber ich wollte keinen Rückzieher machen, denn ich hielt es
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