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Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Titel: Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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glücklich von der Schule nach Hause kam, weil ich eine Belobigung in Englisch und in Geschichte bekommen hatte.
    Statt mich zu loben, wie meine Eltern es getan hätten, starrte mich Mrs Beard nur mit ihren Glupschaugen an und sagte: »Es interessiert mich nicht, ob du in der Schule gut bist oder nicht, Marion. Mir wäre es lieber, du wärst die Schlechteste. Denn du solltest dir in deiner Lage keine falschen Hoffnungen machen. Nach deiner Schulzeit wirst du dir eine Stelle als Dienstmädchen suchen müssen.«
    Liebes Tagebuch,
    bis jetzt habe ich nicht gewusst, wie sich Hunger wirklich anfühlt. Ich lebe von Eipulver und Haferbrei, wir haben keinen Zucker mehr, keinen Käse und auch keine Süßigkeiten. Ganz oft knurrt mir der Magen und frieren muss ich auch.
    Aber ich habe auch eine gute, nein, eine schöne Sache erlebt: Letzten Freitag waren wir im Kino und haben uns »Vom Winde verweht« angesehen.
    Ich fand Vivien Leigh als Scarlett einfach wunderbar, und von nun an werde ich mir, wenn ich friere oder hungrig bin, sagen: »Morgen ist auch noch ein Tag« – genau wie sie.
    Und ich wünschte, es wäre endlich morgen und alles wäre vorbei. Wann immer ich das Radio anschalte, kommen noch schlimmere Nachrichten vom Krieg, und obwohl sie oft auch den neuen Hit senden: »You are my Sunshine« – Du bist mein Sonnenschein , kommt mir das Leben düster, kalt und deprimierend vor, mehr denn je.
    Vom Flüchtlingskomitee weiß ich, dass ich nicht mehr mit Post aus Deutschland rechnen kann. Deutsche können, wenn überhaupt, nur noch über das Rote Kreuz mit jemandem in England kommunizieren.
    Und eine Rotkreuznachricht ist mehr ein Telegramm und darf maximal fünfundzwanzig Wörter lang sein.
    Wie schrecklich! Aber fünfundzwanzig Wörter sind besser als gar nichts.
    In der Schule fühle ich mich dagegen sehr wohl. Das Obstpflücken zusammen mit den anderen Mädchen zur Unterstützung der Kriegsanstrengungen fand ich sehr schön, und auch das Aufräumen im Botanischen Garten.
    Und in meiner Freizeit stricke ich für die Soldaten.
    Meine Schule hat bisher 101 Wollmützen, 87 Paar Handschuhe, acht Paar Socken, fünf Pullover, einen Schal und ein paar Decken gestrickt.
    Liebes Tagebuch,
    heute ist der 28. August 1940, und als ich vorhin die letzten Seiten meines Tagebuchs noch einmal durchlas, wurde mir klar, wie dumm und undankbar ich war, als ich schrieb, es sei schrecklich, dass die Rotkreuznachrichten nur so kurz sein dürfen.
    Fünfundzwanzig Wörter oder auch weniger einer Rotkreuznachricht können die ganze Welt für einen bedeuten.
    Das weiß ich, weil ich heute eine solche Nachricht von meinen Eltern bekam.
    Darin stand nur: »Pass gut auf dich auf und verliere nicht den Mut«, aber das war ausreichend. Ich weiß jetzt, dass meine Eltern noch leben, und das ist alles, was zählt.
    »Diese Rotkreuznachricht ist sicher eine Fälschung. Inzwischen sind drüben bestimmt alle tot«, sagte Mrs Beard, nachdem ich ihr voller Freude meine Nachricht vorgelesen hatte.
    Ich beschloss, ihren giftigen Kommentar zu überhören, und war überglücklich, als ein paar Wochen später eine zweite Rotkreuznachricht von meinen Eltern kam.
    Liebes Tagebuch,
    habe heute, am 5. Oktober 1940, eine zweite wunderbare Nachricht von meinen Eltern über das Rote Kreuz erhalten. »Leider nichts von dir gehört. Hoffen, es geht Dir gut. Uns auch. Grüße, Küsse, denken immer an Dich, Deine Eltern.«
    Ich bin so froh, aber wie es scheint, haben Mama und Papa meine Rotkreuznachrichten noch nicht erhalten. Aber sie werden sicher bald bei ihnen eintreffen.
    Liebes Tagebuch,
    heute ist mein 13. Geburtstag. Mrs Beard hat mir ein paar Knäuel grüner Wolle geschenkt, damit ich mir eine Jacke stricken kann, und von Margaret bekam ich ein wunderschönes Korallenarmband. Meine Mitschüler haben zusammengelegt und mir eine Gesamtausgabe der Werke Shakespeares geschenkt. Aber mein schönstes Geschenk war eine weitere Rotkreuznachricht von meinen Eltern. So wie sie schreiben, vermute ich, dass sie noch immer keine von meinen erhalten haben, und das verstehe ich nicht.
    Sie schrieben: »Leider noch immer nichts von Dir gehört. Geht es Dir gut? Alles Gute in der Schule. Denken immer an Dich, Deine Eltern.«
    Ich habe ihnen sofort eine Rotkreuznachricht zurückgeschickt: »Herzallerliebste Eltern, danke für Eure Nachricht. Alles gut, Schule auch. Passt auch auf Euch auf. Denke immer an Euch, Grüße und Küsse, Marion.«
    Ich hoffe sehr, dass sie meine

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