Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport
Das ist aber noch nicht das Ende. Es ist nicht mal der Anfang vom Ende. Aber es ist möglicherweise das Ende des Anfangs.«
Als ich ihn im Rundfunk sprechen hörte, bekam ich eine Gänsehaut.
Endlich habe ich wieder etwas Hoffnung.
Als ich zwei Tage später zum Frühstück nach unten kam, erwartete mich Auntie im Esszimmer.
»Ich vermute, du weißt bereits, dass dein Vater tot ist. Aber jetzt will ich keine Tränen sehen, verstanden?« Mit diesen Worten begrüßte sie mich an diesem Morgen.
Dann winkte sie mich an den Platz neben ihr am Frühstückstisch, nahm eine Brotscheibe aus dem Toaster und bestrich sie bedächtig mit Margarine.
Ich legte so großen Wert darauf, dass Auntie mich mochte, und deshalb schaffte ich es trotz meines Schocks, mich so zu verhalten, wie sie es von mir erwartete.
Ich biss mir auf die Lippen, schluckte meine Tränen hinunter und setzte mich. Obwohl ich innerlich wie tot war, schluckte ich ein paar Bissen meiner Rühreier hinunter, um Auntie nicht zu enttäuschen.
Ich hätte so viele Fragen gehabt, über das Wann, Wo, Wie und vor allem Warum – doch mir war klar, dass es sinnlos gewesen wäre, mich damit an Auntie zu wenden. Sie würde mir keine Antwort geben.
Stattdessen frühstückte ich schweigend zu Ende, entschuldigte mich und schleppte mich dann wieder nach oben in mein Zimmer, mit diesen brennenden Fragen auf dem Herzen.
Es würde Jahre dauern, bis ich die Antworten erfahren würde, und der Schmerz der Ungewissheit zwang mich, diese Fragen so vollständig zu verdrängen, dass es war, als hätte ich sie in den Tiefen meines Herzens wie in einem Tresor eingeschlossen.
Doch damals, an diesem schlimmen Tag, als mir Tassle, der Hund, nach oben in mein Zimmer gefolgt war, warf ich mich auf mein Bett und weinte mir die Seele aus dem Leib. Ich schluchzte, bis ich keine Tränen mehr hatte.
15
DER ANFANG VOM ENDE
Dezember 1942 – August 1944
Mein Vater war tot, und ich wusste weder wo, wie noch wann er gestorben war.
Und es würde noch Jahre dauern, bis ich es erfahren würde.
In jener Zeit wusste ich auch gar nichts über meine Mutter, ob sie krank oder verletzt war oder überhaupt noch lebte.
Hin und wieder erhielt ich noch einen Brief von ihr, aber sehr viel seltener als früher. Und manche waren schon bis zu einem Jahr alt, als ich sie endlich in den Händen hielt.
Mein Leben in England ging weiter und ich lebte in Sicherheit.
Wenn ich meine Briefe und Tagebücher von damals lese, überkommt mich noch heute ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke, was für ein relativ unbeschwertes Leben ich führte, während meine Mutter, meine Freunde, meine Familie und alle Juden so viel erleiden mussten.
Liebes Tagebuch,
heute habe ich mein erstes Kleid geschneidert, ein grünes Samtkleid, das ich zum Weihnachtsessen bei Margaret und ihrer Familie tragen werde.
Draußen schneit es, der Garten ist voller Stechpalmen und Efeu, und ich bin froh, dass Auntie mit den Mädchen nach London gefahren ist, um Weihnachtseinkäufe zu machen.
Ich werde auch etwas für sie kaufen, erwarte von ihnen aber nichts Besonderes. Zu Weihnachten oder zum Geburtstag bekomme ich von Auntie immer dasselbe geschenkt: einen Knäuel Wolle, damit ich mir etwas stricken kann.
Den pinkfarbenen Schal, den Ruthie mir damals zum Geburtstag geschenkt hat, habe ich noch immer, und manchmal streichle ich ihn, bete für sie und hoffe, dass es ihr gut geht.
Es wäre so schön, wenn sie auch hier in England wäre!
Im Radio läuft gerade ein neuer Song: »I’m Dreaming of a White Christmas.«
Ich weiß, es ist ein sehr christliches Weihnachtslied, aber es gefällt mir trotzdem. Und außerdem wurde es von einem Juden komponiert, Irving Berlin.
Jetzt höre ich auf und schreibe an Mama.
Liebste Mama,
ich hoffe, dieser Brief ist bald bei Dir, und ich hoffe auch, dass es Dir einigermaßen gut geht und Du Dich ohne Papa nicht allzu einsam fühlst.
Du darfst keine Sekunde vergessen, wie sehr er Dich geliebt hat und wie glücklich er mit Dir war.
Hier ist es bitterkalt, doch das macht mir nichts aus. Schließlich haben wir Winter. Aber ich habe Frostbeulen, die manchmal bluten, und ich weiß, dass ich viel zu dünn und blass bin.
Aber wie alle Engländer habe ich gelernt, mit der Lebensmittelknappheit umzugehen. Wir haben kaum noch Butter, Eier oder Milch.
Ich mache meine Hausaufgaben unter einem Tisch aus Eisen, für den Fall eines feindlichen Angriffs
Seltsam, dass das Land, in dem ich geboren wurde,
Weitere Kostenlose Bücher