Ich war Hitlerjunge Salomon
anscheinend gut gewählt, denn ein daneben-
stehender Mann kam mir zu Hilfe, indem er verkündete:
»Perjell, Perjell, das ist typisch für die in Litauen ansässigen
Deutschen!« Natürlich stimmte ich sofort zu. Fragte man
mich später nach der Herkunft meiner Familie, hatte ich stets
die Antwort parat: »Litauen.« Auf die Aussage eines solchen
Namensexperten war ja Verlaß.
Die zweite Frage kam sofort: »Vorname?« Selbstverständlich
sagte ich nicht Salomon, ich hätte verrückt sein müssen. Die
Verzweiflung inspirierte mich, und ich nahm den erstbesten
Vornamen, der mir einfiel: »Josef.«
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Genau so, wie ich es berichte, kam meine neue Identität
zustande. Die Umstände hatten mir mein Vorgehen diktiert,
und so wurde ich zu Josef Perjell, einem Volksdeutschen aus
Grodno. In meiner Akte stimmte nur das Geburtsdatum. Da
konnte man nichts falsch machen. Al e Menschen werden auf
dieselbe Weise geboren, ein spezifisch arisches Geburtsdatum
gab es nicht.
Ich, Salomon Perel, das jüdische Kind aus Peine, muß-
te von diesem Tage an im Verborgenen und unter falschem
Namen weiterleben.
Die deutsche Ordnung funktionierte tadellos, und rasch
wurde ich der 12. Panzerdivision der deutschen Wehrmacht
mit ihrem Hauptfeldwebel Haas und dem Kompaniechef
Hauptmann von Münchow zugeteilt.
Die Neuigkeit machte die Runde, und mehrere Männer der
Einheit kreuzten auf, um mich in Augenschein zu nehmen
und das deutsche Kind, das »in der Beute enthalten« war,
willkommen zu heißen.
Lächeln zu müssen und einen zufriedenen Eindruck zu
erwecken, wenn einen innerlich Trauer und Angst zerreißen,
ist unvorstellbar schwer. Trotz ihrer Höflichkeit mir gegen-
über fürchtete ich sie wie die Pest. Ich wußte, daß mich eine
einzige Unachtsamkeit das Leben kosten würde.
Ich mußte mich seelisch organisieren, einen kühlen Kopf
bewahren und mich mit einem Spiel vertraut machen, dessen
Regeln ich nicht kannte. Aber noch ahnte ich nicht, daß dies
erst der Anfang einer irrwitzigen und nicht enden wollenden
Komödie des Schreckens war.
Die Nacht verbrachte ich auf dem Vordersitz eines Lastwa-
gens. Trotz der unerträglichen Angst, die mich nicht losließ,
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gewann die Müdigkeit die Oberhand, und ich schlief tief
und fest.
Am nächsten Morgen wurde ich in die Ausrüstungskammer
geschickt, um alles Notwendige für einen einfachen Soldaten
in Empfang zu nehmen. Die zahlreichen Einzelteile lagen
akkurat in einem großen Militärsack. Ich war gerade mit
den morgendlichen Verrichtungen beschäftigt, als ich den
lauten, wiederholten Befehl zum Antreten hörte. Ich begann
zu zittern, und mir wurde flau. Glücklicherweise stellten sie
mich von dieser Verpflichtung frei und erlaubten mir, mich
in der Nähe aufzuhalten. Der Appell umfaßte die Inspizie-
rung der Bärte, der körperlichen Sauberkeit, der Waffen und
Schuhe, die Verteilung der Post und das Verlesen des Tages-
befehls. Ich begriff, daß das Unternehmen planmäßig verlief
und die Streitkräfte rasch nach Osten auf die vorgesehenen
Ziele vorrückten.
Kurze Zeit später, als ich einmal zusammen mit anderen
Soldaten der Kompanie antreten mußte, näherte sich mir der
Feldwebel mit einer Rasierklinge in der Hand. Vor Angst
bekam ich Bauchschmerzen. Auf meinem Gesicht mußte
sich Verwirrung abgezeichnet haben. Er entschuldigte sich
mit einem Lächeln und teilte mir gesenkten Kopfes mit, er
müsse mir die Hoheitszeichen des Reiches von der Uniform
abtrennen, da ich bisher weder auf den Führer noch auf das
deutsche Volk meinen Eid geleistet hätte. Ich würde noch
nicht als regulärer Soldat betrachtet werden und dürfe sie
daher nicht tragen. Er tröstete mich mit dem Versprechen,
daß ich bei nächster Gelegenheit meinen Eid ablegen und die
Hoheitszeichen dann offiziell zurückerhalten würde.
Ich hatte Tag und Nacht nur eines im Sinn: die Flucht.
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Ich wollte den vordersten Frontabschnitt erreichen, die Linie
überqueren und zu den Kampfeinheiten der sowjetischen Armee
überlaufen. Sehr schnell wurde mir die Unmöglichkeit eines
solchen Planes klar, und ich beschloß, meine Fahnenflucht auf
einen günstigeren Zeitpunkt zu verschieben. Mittlerweile hatte
man mir eine breite Armbinde mit der Aufschrift »Dolmetscher«
verpaßt, weil ich ja Russisch sprach. Und es dauerte nicht
lange, bis man mich in ein provisorisches Gefangenenlager
führte, das in der Nähe errichtet worden war. Ich sollte das
Verhör von
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