Ich war Hitlerjunge Salomon
Panzerjägerabteilung der Panzerdivision an
der Spitze – näherten sich einem Gefangenen und begannen
unverzüglich mit dem Verhör. Ich war erstaunt, wie förmlich
und respektvoll sie ihm entgegentraten. Gemeinhin zeigten
sie sich den Russen gegenüber hochmütig und grausam.
Schon im ersten Stadium des Verhörs bestand an der Iden-
tität des Mannes kein Zweifel mehr: Es handelte sich um den
Artillerieoffizier Jakow Dschugaschwili, den Sohn Stalins. Er
saß hier fest, während sein berühmter Vater in aller Eile die
Verteidigung Moskaus organisierte.
Ich konnte kaum meine Erregung verbergen. Auch die
Gesichter der anwesenden Deutschen blieben nicht gleich-
mütig. Die Prüfung der Papiere brachte die Bestätigung. Sie
baten ihn um präzise Auskünfte über die Artilleriestellungen
seiner noch kämpfenden Einheit, doch er weigerte sich und
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machte – gemäß seinem Recht als kriegsgefangener Offizier
– lediglich Angaben zur Person.
Inzwischen hatte der Divisionskommandant von dem Ereig-
nis Meldung erhalten und ordnete die sofortige Überstellung
in das Hauptquartier an. Ich fand noch Zeit, ihm zuzulächeln
und ihm dobrowo puti , »gute Reise«, zu wünschen. Ich habe
ihn nie wiedergesehen.
Der Blitzkrieg ging weiter und riß mich mit. Die Not-
wendigkeit, unter Erwachsenen zu leben, veränderte meine
Lebensweise gründlich. Wider Wil en hörte ich ihre gemeinen
Reden, hörte ihre schlüpfrigen Witze, ihre Liebes- und Frau-
engeschichten, ihre Unterhaltungen über Eroberungen und
Sex. Nicht alles, was sie sagten, war uninteressant, zumeist
jedoch war es hohles, vulgäres Geschwätz. Manchmal konnten
auch sie die Sehnsucht nach ihrer Familie oder das Heimweh
nach Deutschland nicht verbergen. Sie trösteten sich aber mit
der Aussicht auf den Sieg, den sie lange vor Einbruch des
schrecklichen russischen Winters erringen würden und der
sie schnell wieder nach Hause brächte.
Keiner hatte je einen Vorbehalt oder eine eigene Meinung
über diesen Krieg zu äußern gewagt, in den sie al e verwickelt
waren, und dies, obwohl die kugeldurchsiebten und granat-
splitterzerfetzten Leichen ihrer Kameraden von Tag zu Tag
zahlreicher wurden. Am Anfang waren es noch Einzelgräber,
doch je näher Moskau rückte, je mehr verwandelten sich die
Felder in Friedhöfe.
Wie jene, die einer Gehirnwäsche unterzogen worden waren,
wiederholten sie unablässig die gleichen Phrasen. Sie bestä-
tigten sich gegenseitig damit, hier nach fünfundzwanzig Jah-
ren kommunistischer Herrschaft solch primitive Verhältnisse
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vorzufinden. Das al es war für sie ein Ausdruck von Schlamperei
und Schwäche. Von wegen ›Paradies‹, Adolf Hitler könne man
nur danken, der sie hierhergeführt und ihnen so die Augen
über diese Regierungsform geöffnet hätte.
Der »Beweis war erbracht«, daß der Führer recht hatte,
daß es einer lenkenden Hand bedurfte und daß diese von der
Vorsehung bezeichnete Hand nur die des deutschen Reiches
sein konnte. Letztlich käme das ja auch den »Iwans« zugute,
wie die deutschen Herren ihre zukünftigen Vasallen nannten.
Doch manchmal war das tägliche Leben auch lustig. Ich
spielte schon gut Mundharmonika und lernte ihre Lieder dazu,
ich lernte Skat spielen und schunkeln, während mir das Bier
die heisere Kehle hinabrann. Aber auch in den übermütigsten
Momenten verließ mich die Angst keine Sekunde. Was würde
geschehen, wenn sie die Wahrheit erfuhren?
Im Bewußtsein meines schrecklichen Geheimnisses lebte
ich also mein tragisches Doppelleben weiter. Gab es unter
ihnen denn keinen einzigen verläßlichen Menschen, dem ich
mich anvertrauen konnte? Ich hatte das brennende Bedürfnis,
mich jemandem mitzuteilen. Doch ich lernte, meine Zunge zu
hüten und meine Worte zügeln und gab dieser gefährlichen
Versuchung nicht nach.
Eines Tages überbrachte mir der Gefreite Gerlach den Befehl,
zum Kompaniechef zu kommen. Er fragte mich, ob ich wisse,
wie man vor einen Vorgesetzten tritt und grüßt. Ich antwortete,
daß ich mich bemüht hätte, es zu lernen, und ich ihm keine
Schande machen würde. Ich polierte meine Schuhe, klopfte
meine staubige Uniform aus und rückte meine Mütze zurecht.
Von widerstreitenden Gefühlen zerrissen, ging ich. Mein Herz
schlug schneller. Hauptmann von Münchow fürchtete ich
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sehr. Er hatte stets eine verschlossene Miene, die Vorsicht
und Distanz gebot. Er war behängt mit Auszeichnungen, und
mitten auf der
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