Ich war Jack Falcone
war’s.
Als ich wieder im Büro war, wollten die Kollegen die ganze Geschichte hören. Ich erzählte ihnen, dass ich die Hose ausgezogen hatte, und sie krümmten sich vor Lachen. Sie hielten das für den größten Witz, den sie je gehört hatten – immerhin hatte ich in Unterwäsche eine »Masseuse« vernommen. Sie fragten mich, wie sie ausgesehen habe und ob ich erregt gewesen sei. Typische Männerfragen eben. Aber das Wichtigste war, dass ich reingekommen war und niemand mich für einen Cop gehalten hatte.
Das war für mich eine Offenbarung.
Bald wiederholte ich das gleiche Verfahren in einem zweiten »Massagesalon« ein paar Straßen weiter. Diesmal war ich ein wenig selbstsicherer, als ich mich der Tür des Sandsteinhauses näherte. Ich klopfte nicht wie ein ängstlicher FBI-Agent an, sondern wie ein typischer Geschäftsmann, der sein Leben lang jede Woche in »Massagesalons« geht. Keine große Sache. Auch dort ließen sie mich rein. Und diesmal wurde ich fündig. Ich traf ein Mädchen, das wusste, wo China arbeitete. Wir spürten sie auf und entdeckten mit ihrer Hilfe das Versteck des flüchtigen Verbrechers.
Als sie Williams fanden, kurz nach meinen ersten Abstechern in die Welt der verdeckten Ermittler, hatte man mich bereits nach Puerto Rico geschickt, wo ich am FALN-Fall arbeitete. Meine Kollegen Dan McLaughlin, Eddie Petersen und Ron Butkiewicz verhafteten Williams nach einem heftigen Schusswechsel in einem New Yorker Hotel. Mehrere Polizisten trafen ihn fünf oder sechs Mal. Zum Glück wurde keiner unserer Jungs verletzt. Wäre ich dabei gewesen, hätte Williams mich vielleicht erschossen, und ich könnte diese Geschichte nicht schreiben.
Es stellte sich heraus, dass ich großes Talent für die Arbeit als verdeckter Ermittler hatte. Damals hatten nur wenige FBI-Agenten einschlägige Erfahrungen. Hoover hatte wenig darüber nachgedacht, und das FBI neigte mehr dazu, sich auf Informanten zu verlassen. Aber mir wurde bald klar, dass die Aussagen solcher Informanten immer verdächtig waren – man wusste nie, ob sie die Wahrheit sagten, ob es ihnen um ihre eigenen Interessen oder um unsere ging und ob man sie fand, wenn man sie brauchte. Ein verdeckter Ermittler konnte sich dagegen selbst Informationen beschaffen und herausfinden, was wirklich vor sich ging. Auf einmal fand ich Gefallen an dieser Arbeit und wollte mehr davon haben. Das Dezernat beauftragte mich mit dreieinhalbjährigen Ermittlungen, bei denen es um die Sicherheit des Landes ging. Ich darf heute noch nicht darüber reden. Ich bekam eine hübsche Wohnung, ein gutes Auto und ein Spesenkonto, und ich betrat das Büro die ganze Zeit über kein einziges Mal. Das FBI war mit meiner Arbeit so zufrieden, dass ich selbst entscheiden durfte, in welche Stadt der USA mich mein nächster Auftrag führen sollte.
Also beantragte ich meine Versetzung nach Miami, Florida, wo es für einen kubanischstämmigen FBI-Agenten reichlich Gelegenheit gab, undercover Verbrechen aufzuklären.
Selbstverständlich schickte man mich nach Philadelphia, Pennsylvania.
Kapitel 4
Die Waage der Gerechtigkeit
Vor den Gambinos gab es für mich die Badlands.
Das Viertel im Norden von Philadelphia, das man Badlands (Ödland) nennt, ist eine der gefährlichsten Gegenden des Landes. Es wimmelt von Drogenhändlern aus Kolumbien, der Dominikanischen Republik, Mexiko und anderen Ländern. Ein verdeckter Ermittler, der überleben will, könnte sich kaum einen schlimmeren Ort aussuchen. Vier Jahre lang war ich Manolo, ein Drogenhändler und Geldwäscher, der einen Mercedes fuhr, Bacardi mit Cola trank und Zigarren rauchte. Zumindest spielte ich diese Rolle.
Meinen Abstecher in die Badlands verdankte ich der harten Arbeit meines Kollegen W. Van Marsh, der gegen einen der führenden Buchmacher der Gegend, einen Typen namens »Tony Oro« ermittelt hatte. Van Marsh hatte Tony dazu gebracht, den Verkauf von zwei Kilo fast reinem Kokain an einen anderen Kontaktmann zu vermitteln. Als der Handel abgeschlossen war, enthüllte Van Marsh seine Identität als FBI-Agent, nahm Tony mit zum Frühstück und stellte ihn vor die Wahl, entweder mit dem FBI zusammenzuarbeiten oder die nächsten paar Jahrzehnte hinter Gittern zu verbringen.
Tony war kein korpulenter Mann, aber er hatte den wiegenden Gang der Straßenleute. Er war Anfang 50, Vater und dank seiner Sportwetten und Lotterien sehr reich. Tony trug ein riesiges Halsband und einen Anhänger mit einem aztekischen Gott, verziert
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