Ich war nur kurz bei Paul
wirklich keiner Schuld bewusst. Sie hatten sich doch so gut verstanden und nun sollte plötzlich alles aus sein? Das passte nicht zu Lea, auch das Verhalten ihrer Mutter nicht. Er hatte sie immer ausgesprochen sympathisch gefunden und geglaubt, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhe. Ihr jetziges Verhalten ihm gegenüber gab ihm umso mehr zu denken. Er musste herausfinden, was man ihm vorwarf. So ging das doch nicht!
In seiner Verzweiflung, er musste jetzt einfach mit jemanden sprechen, fuhr er zu Julius. Der war glücklicherweise zuhause und hatte Zeit. Dem sprachlosen Freund erzählte er die Geschichte von Paul und dessen Verhaftung. Julius erinnerte sich auch sofort an ihre Sicherheitsabfrage bei der Bäckereiverkäuferin, damals, vor dem ersten Angeltreff.
»Ist ja cool! Ihr habt euch angefreundet? Und du hast uns nie etwas von ihm erzählt. Warum denn nicht?«
»Naja, ich glaubte, dass ihr das nicht verstehen würdet. Ich wollte mich nicht verspotten lassen! Lorenz hätte garantiert dumme Sprüche gebracht!«
»Ja, der vielleicht. Aber ich doch nicht! Das ist doch prima, sich einen solchen Ersatzopa zuzulegen. Ich bin immer gern bei meinen Opas. Die haben eine Menge drauf, trotz ihres Alters!«
»Paul ist nicht mein Ersatzopa - er ist mein Freund!«
»Ja, klar, versteh schon!«
»Wirklich?« Ralf sah seinen Freund zweifelnd an.
»Ja, wirklich, Mann! Alles klar! Ich sag davon nichts zu Lorenz, wenn dir das lieber ist. Er muss ja nicht alles wissen.« Ralf atmete erleichtert auf - sein Freund meinte es ehrlich, das sah er in dessen Augen.
»Das mit dir und Lea heute irgendetwas nicht stimmte, habe ich auch mitgekriegt. Ich hörte auf dem Schulflur, wie Nicole mit Regine über euch tuschelte, die sitzt doch neben Lea. Ich habe nur einige Worte gehört, nicht alles! Sie haben etwas von einem Foto erzählt, auf dem du zusammen mit einer Susanne abgebildet sein sollst. Es soll sich um ein Mädchen vom Reitstall handeln, soweit ich heraushören konnte. Hast du gerade etwas mit 'ner Anderen am Laufen?«
»Waas? Wo soll denn ein Foto mit der herkommen? Ich kenne eine Susanne, ja! Aber ich hab mich nie mit der verabredet oder so. Ich verstehe nicht, was es da für ein Foto von uns geben sollte. Allerdings war Lea schon immer ein wenig eifersüchtig auf ihre Mitreiterinnen. Aber ich schwöre dir, dazu gab es nie einen Grund!«
»Schwör's nicht mir, sondern besser Lea! Dürfte mehr Sinn machen!«
»Dahinter steckt garantiert ebenfalls eine Sauerei von Maik, genau wie mit Pauls Verhaftung. Mann! Ich bin so etwas von wütend - wenn ich den in die Finger kriege...!«
»...ziehst du den Kürzeren!«, vollendete Julius trocken die Drohung seines Freundes. »Das müssen wir ganz anders beginnen. Hör mal zu: Ich hätte da auch schon eine Idee... «
Kapitel 24
Die Maschine befand sich schon seit einer guten Viertelstunde im Sinkflug - jetzt neigte sie sich zur Seite, der Himmel kippte weg, und nun sah Paul voraus das weithin sichtbare Erkennungszeichen Travemündes: Das wie ein mahnender weißer Finger in den Himmel ragende Maritim-Hotel mit seinen fünfunddreißig Stockwerken.
In dessen Fenstern spiegelte sich, facettengleich, der gleißende Widerschein der Spätvormittags-Sonne. Paul musste wegen der sekundenlangen Blendung die Augen zusammenkneifen. Das Hochhaus schien ihm schelmisch zuzublinzeln, gab sodann den Blick auf die Passat frei. Die historische Viermastbark, die das eigentliche Wahrzeichen des alten Seebades war, hatte am westlichen Ufer des Priwalls, einer in der Travemündung liegenden Halbinsel, ihren letzten Liegeplatz gefunden.
Paul war froh, schon bald wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Der Flieger beschrieb einen weiten Bogen um Lübeck. Die Stadt, die er so sehr liebte, zeigte ihm zur Begrüßung ihre ganze Pracht: Die sieben mächtigen Türme der Stadtkirchen, das blaue Band der die Stadtinsel umschließenden Wasserarme, das viele auflockernde Grün sowie die Dächer und Fassaden der alten Backsteinhäuser. Die Maschine setzte zur Landung an. Nach kurzer Bremsstrecke rumpelte die Boeing 737 über den Rollweg auf das Abfertigungsgebäude des Flughafens Lübeck-Blankensee zu.
Paul musste auf keinen Koffer warten; hatte er doch nur eine Reisetasche dabei. Wer hätte damals auch ahnen können, dass aus fünf Tagen mehr als fünf Wochen werden würden? Paul war sich nicht sicher, ob hinter der
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