Ich war nur kurz bei Paul
wir müssen uns auch erst ein wenig aneinander gewöhnen. Ich habe also dichtgehalten, sonst hättest du von deinem Vater wahrscheinlich etwas zu hören bekommen! Du weißt, dass er sehr jähzornig werden kann, wenn es hier zu Hause Stress gibt. Also sei froh! Beim nächsten Mal lasse ich dich aber auflaufen, das sollst du nur wissen!« Nun wurde ihr betont strenger Tonfall etwas weicher. »Sieh mal, Ralf! Ich weiß ja, dass unsere neue Situation für dich und für die Nadine nicht einfach ist. Ich will auch nicht die Stelle eurer Mutter übernehmen. Ich möchte eure Freundin sein. Können wir uns nicht auf dieser Basis verständigen?«
»Freundin, pah! Und warum hast du dann den Schlüssel im Schloss stecken lassen und mich ausgesperrt? Du wolltest doch, dass ich klingeln muss, damit es Ärger gibt!« Barbara sah ihn erstaunt an.
»Nein, Ralf, das war ich nicht. Ich weiß genau, dass ich ihn abgezogen habe.« »Lucie! Komm mal her! Sofort!« Lucie drückte sich trotzig um die Ecke der Küchentür - Unheil vorausahnend. »Hast du gestern Nacht den Schlüssel wieder ins Schloss gesteckt?« Lucie wurde tiefrot.
»Nein«
»Guck mich an, du lügst doch!« Dem strengen Blick ihrer Mutter hielt sie nicht stand und schaute nickend zu Boden. »Was soll das, Lucie? Warum willst du hier Unfrieden stiften? Warum bist du nur manchmal ein so gemeines Biest, kannst du mir das sagen?«
»Ralf war gestern gemein zu mir. Ich wollte mit ihm nur ein paar Ballettübungen machen und da hat er so etwas Böses zu mir gesagt und mich einfach stehen lassen.« Die letzten Worte gingen in einem Strom von Tränen und schnellen Schluchzern unter.
»Geh nach oben in dein Zimmer, Lucie! Ich will dich die nächsten zwei Stunden nicht mehr sehen!« Lucie wandte sich ab und schlich mit hängenden Ohren nach oben.
»Dann bist du ja gar nicht rein gekommen, Ralf. Geklingelt hast du auch nicht, das hätte ich gehört. Hab nur einmal draußen ein Poltern vernommen und gedacht: Gottseidank, jetzt kommt er heim . Warst du das denn nicht?« Nun ruhte ihr Blick fragend auf seinem Gesicht und ihre Hand berührte seinen Arm. Ralf zog schnell weg.
»Nö, das war ich nicht. Hab in der Bushaltestelle geschlafen.«
»Oh mein Gott! Bei der Kälte? Bist du denn verrückt geworden, Ralf? Weißt du denn nicht, wie schnell man sich da etwas wegholen kann?« Sie fühlte mit dem Handrücken prüfend seine Stirn. »Mach so etwas nicht wieder, Ralf! Das ist doch kindisch. Wir wollen doch gut miteinander auskommen. Das, mit Lucie, tut mir Leid. Sie ist aber auch manchmal so ein kleines Scheusal, nicht zu fassen!«
Die folgenden Ferientage verliefen besser. Das Verhältnis zu Justin nahm wieder normale Formen an, und sie überwanden die Fremdheit, die zwischen ihnen entstanden war. Auch ansonsten stellten sich die altvertrauten Beziehungen zu den übrigen Kumpels wieder ein. Selbst Barbara bereitete ihm keine weiteren Schwierigkeiten mehr - allerdings beachtete Ralf ihre wenigen Weisungen ohne zu Murren und vermied alles, was zu neuem Kräftemessen zwischen ihnen beiden geführt hätte. Nadine und Lucie ließ er einfach links liegen, sie verdarben ihm sonst nur die Stimmung.
Am Ende der ersten Woche fragte Ralf seinen Vater, ob sie nicht einmal wieder Oma Jensen besuchen könnten. Sie lebte in einem Pflegeheim, nicht weit entfernt von Silberstedt.
»Dieses Wochenende passt es eigentlich schlecht, Ralf. Außerdem bekommt sie Besuch ja kaum noch mit. Immer bringt sie alles durcheinander. Du kannst gestern da gewesen sein, und sie fragt dich am nächsten Tag, wer du bist. Das ist sehr, sehr anstrengend, und ich weiß nicht, ob das gut für dich ist?«
»Ich möchte aber gern! Ich weiß ja, dass Oma vergesslich ist. Ich finde das gar nicht so schlimm. Sie ist immer so lieb und ich hab sie furchtbar gern. Sie fehlt mir.«
»Na, vielleicht schaffen wir es nächste Woche. Am kommenden Mittwoch hab ich nachmittags frei, da könnten wir bei ihr vorbei fahren.« Ralf war mit der Antwort seines Vaters nicht zufrieden. Er wollte sie gern früher sehen und außerdem, wenn er so recht darüber nachdachte, wollte er viel lieber allein zu Oma fahren. Sein Vater störte da nur; der wollte immer gleich nach wenigen Minuten den Besuch beenden und gehen.
Das Pflegeheim lag in einem Dorf an einem See, eine knappe Stunde mit dem Fahrrad entfernt. Ralf meldete sich bei Barbara ab und erklärte, dass er eine
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