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Ich war nur kurz bei Paul

Ich war nur kurz bei Paul

Titel: Ich war nur kurz bei Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herfried Loose
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hat Ihnen einen Kuchen mitgebracht. Ich gehe und hole Kaffee, Teller und Gabel. Möchtest du auch etwas trinken, Ralf?«
       »Ja gern! Eine Cola bitte!«
       »Haben wir leider nicht, aber vielleicht magst du eine Trinkschokolade?«
       »Ja, ist auch okay« Er nahm seine Oma in den Arm und drückte sie. Sie fühlte sich ganz weich an, nur ihre Wange piekste beim Küssen ein wenig von ihrem Damenbart, das kannte er schon. Ihr entrückter Blick kehrte aus weiten Fernen zurück und sie erkannte ihren Enkel. »Ralf, Junge! Wie schön dich zu sehen.«
       Ihre Stimme klang ganz zart - wie zerbrechliches Porzellan - so dünn. Die kraftlosen Arme hoben sich und umschlangen seine Schultern. Einen Moment wiegten sie sich in den Armen. Ralf schloss die Augen, wie schön, dass Oma ihn heute erkannte . Dann machte er sich frei. »Ich hab dir eine Donauwelle mitgebracht, Oma. Die magst du doch so gern.«
       »Dauerwelle? Wieso, ist denn schon wieder Mittwoch?« Ralf seufzte. Zu früh gefreut, sie brachte wieder alles durcheinander.
       »Nicht Dauerwelle. KUCHEN, Oma! Ich hab dir Kuchen mitgebracht. Schau!« Er hatte das kleine Tablett ausgepackt und zeigte es ihr.
       »Oh, wie schön, Kuchen!« Schwester Saskia brachte Teller und Getränke.
       »Hat sie dich erkannt, Ralf?« 
       »Ja, hat sie. Sie freut sich ganz doll, dass ich hier bin, hat sie gesagt.«
       »Das ist schön.« Saskia setzte sich zu ihnen und nahm die Kuchengabel und gab seiner Oma einen Bissen. Sie machte den Mund auf und aß. »Das kann ich auch, Saskia. Sie brauchen sich nicht um mich zu kümmern. Ich kenne meine Oma schon länger, wissen Sie?« Saskia rückte mit ihrem Stuhl ein wenig beiseite, machte aber keine Anstalten zu gehen. Ralf nahm ihr die Kuchengabel ab und begann, Oma weiterhin mit kleinen Bissen zu füttern. Nach jedem Bissen nahm er eine Serviette und tupfte ihren Mund ab. »Haben Sie keinen Zucker?«, fragte er über die Schulter. »Oma mag nur wirklich süßen Kaffee.« 
       »Ach, das wusste ich ja gar nicht! Weißt du, dass ich das ganz toll von dir finde, dass du sie allein besuchen kommst und keine Scheu hast, ihr beim Essen und Trinken zu helfen? Das habe ich noch bei keinem Kind in deinem Alter gesehen.«
       »Ich bin kein Kind mehr, ich bin schon dreizehn! Oma und ich verstehen uns gut. Ist doch nicht schlimm, wenn sie ein bisschen Hilfe braucht. Sie ist ja auch alt!«
       »Ja, das stimmt!« Saskia stand auf um den Zucker zu holen.
       »Was macht die Schule, Ralf? Bist du auch immer schön fleißig und machst deine Hausaufgaben?«
       »Natürlich Omi. Du kannst dich auf mich verlassen.« 
       »Das weiß ich doch, Junge, das weiß ich doch.« Sie drückte seine auf dem Tisch ruhende Hand. »Du hast mir immer soviel Freude bereitet, Ralf.«
       Saskia kehrte mit dem Zucker zurück. »Ich lasse euch jetzt einen Moment allein. Wenn du Hilfe brauchst, ich bin dort hinten beim Kiosk. Brauchst nur zu rufen! Ich bleibe solange hier, bis du deinen Besuch beendet hast, okay?«
       »Danke!« Sie war nett, die Saskia. Oma schaffte ihren Kuchen nicht allein. Ralf aß die andere Hälfte. Dann saßen sie noch eine Weile zusammen, einander bei den Händen haltend. 
       »Hast du das Meerschweinchen noch?«
       »Oma, das war Nadine, die hatte eines. Das ist aber schon lange tot.«
       »Nadine? Wer ist Nadine?«
       »Du kennst sie, Oma. Erinnere dich, meine Schwester. Das große Mädchen mit den langen, braunen Haaren. Sie ist jetzt fünfzehn.«
       »Oh, Nadine! Ja, jetzt wo du es sagst, erinnere ich mich... Grüß sie schön von Oma, sag ihr, dass sie gut auf das Meerschweinchen aufpassen soll.«
       »Das sag ich ihr, Omi. Ich soll dich auch von ihr schön grüßen und von Papa und Mama natürlich auch.« Die alte Dame sah ihn verzückt an und schwieg. Immer wieder streichelte ihre Hand über seinen Kopf, als wollte sie alte Erinnerungen wieder zum Leben erwecken. Ralf ließ es geschehen. »Oma?«
       »Ja, mein Junge?«
       »Mach, dass du noch ganz lange lebst, ja? Und dass du ganz alt wirst. Versprichst du mir das?«
       »Ich soll ganz alt werden?« Sie nickte versonnen und ein Lächeln huschte über ihre Züge. »Ja, ich werde ganz alt und bei deiner Hochzeit noch dabei sein, Junge. Das verspreche ich dir!«
       Erleichtert drückte Ralf sie und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich muss jetzt gehen, Oma. Bleib schön gesund! Ich hab dich lieb.«
       Seine letzten Worte hatte

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