Ich war nur kurz bei Paul
sinken.
»Die Nadine? Was will die denn hier? Die kümmert sich doch sonst auch nicht um uns!«
»Na, hör mal! Ich telefoniere doch manchmal mit ihr, und letztens hab ich sie gefragt, ob sie nicht einmal ein Wochenende zu uns kommen will. Sie hat tatsächlich zugesagt. Ihre Freundin sei am Wochenende mit ihren Eltern bei Verwandten in Mannheim und sie hätte deshalb noch nichts vor. Sie will ihre Badesachen mitbringen. Ist doch schön, nicht? Freust du dich denn gar nicht ein bisschen?«
»Nadine ist eine olle Zicke! Bei der kreist doch alles nur um ihre Schönheit und um Mode. Findest du meine Fingernägel so auch besser, was meist du, soll ich meine Haare vielleicht doch anders färben? Schau mal hier, wie findest du diese Stiefeletten? « In gekonntem Tonfall äffte Ralf seine Schwester nach und verdrehte die Augen. »Das kann man doch nicht ertragen! Immer muss sich alles um sie drehen! Hat sie dich vielleicht schon einmal angerufen und gefragt, wie es uns geht, was deine Arbeit macht oder wie es uns hier in der Stadt ergeht?«
»Ach, Ralf, nun komm schon! Sie ist deine Schwester und in einem Alter, wo das völlig normal ist. Ich freu mich jedenfalls, und ich möchte dich sehr bitten, keinen Streit zu beginnen. Ich will, dass wir die zwei Tage wie eine richtige Familie verbringen. Nimm dir also nichts anderes vor und überleg dir ein Programm, was wir machen könnten!« Ralf sah die Vorfreude im Gesicht seiner Mutter und schob seine eigenen Bedenken beiseite. Zwei Tage würde es vielleicht gehen, mal sehen! Er sah auf seine Uhr und stürzte seine Milch hinunter.
»Ich muss los, Mama! Tschüß, bis heute Mittag!«
»Wisch dir deinen Milchbart ab, Junge, und lass dich noch einmal drücken. »Mama, ich bin kein Kind mehr!«
»Na und? Einmal drücken, wird doch wohl noch erlaubt sein.« Sie drückte ihm einen Kuss auf die Stirn und gab ihm einen Klaps auf den verlängerten Rücken. Sie war heute wirklich besser gelaunt als sonst.
Am Mittwoch, vor seinem ersten Konfirmations-Unterricht, der um siebzehn Uhr dreißig beginnen sollte, ging Ralf noch auf eine knappe Stunde Paul besuchen. Die Begrüßung fiel wie immer herzlich aus: Erst war Karlchen dran, während dessen Paul das Teewasser aufsetzte, dann Paul. Seine gütigen Augen lächelten, als er Ralf die Hand gab und ihn mit dem anderen Arm auf der Schulter zum Tisch führte. »Setz dich, Junge! Tee ist gleich fertig!« Er stellte ihm einen Unterteller mit Schokoladenkeksen vor die Nase. »Was gib's Neues?« Ralf leckte sich den Finger ab. »Sonntag, das Spiel in Groß Grönau, das hättest du sehen sollen! Ich hab das Sieg-Tor geschossen - als Verteidiger!«
»Hm, hab ich gesehen, und ich war mächtig stolz auf dich! Das war ein wirklich gelungener Coup von dir! Alle Achtung!«
»Wie, das hast du gesehen?« Ralf konnte nicht glauben, was er da hörte. »Du warst doch gar nicht da!«
»Und ob, Junge! Das lass ich mir doch nicht entgehen: Dein erstes Punktspiel für den neuen Verein. Klasse war das! Du hast alles rausgerissen für deine Mannschaft, warst der Held des Tages! Und wie du deine Gegner alle mutterseelenallein ausgetrickst hast. Ich kann dir sagen, alle Wetter, also...« Paul schlug sich vor Begeisterung in die Hände und schien sich kaum wieder einkriegen zu können.
»Ich hab dich aber nicht gesehen. Warum hast du denn nicht gerufen? Ich hätte mich so gefreut, dich zu sehen!«
»Wirklich? Ich wollt dich vor deinen Kumpels nicht in Verlegenheit bringen! Was hättest du denen denn gesagt? Ich sei dein Opa?«
Ralf stand auf und ging zu Paul, der noch am Herd hantierte. »Paul, wie kannst du so etwas sagen? Warum sollte ich mich für dich schämen? Du bist doch mein Freund und nicht mein Opa! Was glaubst du, wie die anderen gestaunt hätten, dass ich solch einen Freund wie dich habe; der auch noch beim Fußball zusieht und mit zum Kanufahren kommt und ein richtiger Maler ist...«
»Hör auf, Junge...«, Paul kicherte verlegen, »...du bringst mich ja richtig in Verlegenheit. Hätt'st dich wirklich nicht geschämt?«
»Nein, niemals! Wir sind doch Freunde, und für Freunde schämt man sich doch nicht.«
»Find'ste nich, dass ich für einen Freund schon ein bisschen zu alt bin?«
»Komisch, das fällt mir überhaupt nicht mehr auf! Das nächste Mal winkst du mir gefälligst zu! Dann werde ich dich allen vorstellen! Das ist der Paul , werd ich sagen,
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