Ich war seine kleine Prinzessin
war wichtiger als Mama. Unglaublich, aber wahr! Papa
erfaßte die Situation blitzschnell.
Meine Mutter schlief fast pausenlos.
Sie nahm ein Schlafmittel und dann ab ins Bett! Wenn ich mich in mein Zimmer
zurückzog, weil ich müde war oder Hausaufgaben machen mußte oder Papa aus dem
Weg gehen wollte, kam er und holte mich. Ich mußte mit ihm ins Wohnzimmer und
mich neben ihn aufs Sofa setzen. Ich wußte, was mich erwartete. Er küßte mich
auf den Mund und streichelte mich. Er ging sogar noch weiter.
Daß Mama nebenan schlief, war ihm egal.
Er hatte nicht einmal Angst, sie könnte aufwachen. Er hätte ja auch zu ihr ins
Schlafzimmer gehen können, er hätte versuchen können, wieder eine normale Ehe
zu führen. Aber nein. Mama existierte nicht mehr. Sie war vollgestopft mit
Medikamenten, weinte wegen jeder Kleinigkeit, zitterte, hatte sich völlig
verändert. Eine hilflose, zerbrechliche Frau. Ich erkannte sie nicht wieder.
Früher war sie sehr sprach- und
redegewandt gewesen; nach der Schlafkur mußte sie ständig nach Worten suchen.
Es war, als hätte sie alles, selbst die Sprache, verloren. »Hallo, wie geht’s
dir?« »Oh, ganz gut soweit.« Mehr sprachen wir nicht miteinander. Und mit
meinem Vater redete sie noch weniger als vorher. Sie schliefen überhaupt nicht
mehr miteinander, vertraute er mir an. Das interessierte mich ehrlich gesagt
nicht im geringsten. Ich hatte ganz andere Sorgen...
Ich war völlig aus dem Gleichgewicht
geraten. Daheim hatte ich jede Hoffnung aufgegeben, daß sich etwas ändern
würde. Mama war krank, sie merkte nicht, was vor sich ging. Die Dinge hatten
sich nicht eingerenkt, wie ich erwartet hatte, im Gegenteil, es war alles noch
schlimmer geworden.
In der Schule — ich ging in die Quinta —
kam ich überhaupt nicht mehr mit, aber das kümmerte meine Eltern nicht. Ich
machte mir auch Sorgen um meinen Bruder und meine Schwester. Die beiden waren
praktisch sich selbst überlassen. Meine Mutter befaßte sich kaum noch mit
ihnen, und mein Vater beachtete sie überhaupt nicht. Das machte mich ganz
traurig. Während es früher immer zu Eifersüchteleien zwischen uns gekommen war
und wir um die Zuneigung unserer Eltern rivalisiert hatten, hielten wir jetzt
zusammen. Schließlich saßen wir alle im selben Boot. Ich fühlte mich für alle
verantwortlich. Das ging so weit, daß ich noch im Unterricht an unsere Probleme
zu Hause dachte und mir den Kopf zermarterte. Das einzige, was mich auf andere
Gedanken brachte, war die Musik.
Ich sang im Chor. Ich sang für mein
Leben gem. Ich hatte eine tolle Lehrerin, eine sehr sympathische und sanfte
junge Frau. Sie war wie eine Mutter für mich. Wie die Mutter, die ich gern
gehabt hätte. Mit ihr machte das Singen Spaß. Sie war wirklich eine Wucht, so
nett und verständnisvoll. Als ich mir die Haare abschnitt, hatte ich Bammel vor
meinem Vater. Da ging ich zu ihr und sagte: »Ich hab’ mir heute morgen die
Haare abgeschnitten. Mein Vater weiß nichts davon, meine Mutter ist im
Krankenhaus, und Papa wird schimpfen, wenn er mich sieht.«
»Kopf hoch!« meinte sie. »Nach dem Chor
wartest du auf mich. Ich geh’ mit dir hinunter und erkläre deinem Vater alles.«
Und das hat sie auch getan.
Dadurch daß ich im Chor sang, konnte
ich manchmal abends von zu Hause weg und den Annäherungsversuchen meines Vaters
entkommen. Das Singen lenkte mich ab. Es tat mir gut, weil ich auf andere
Gedanken kam. Zu Hause wurde es nämlich immer unerträglicher. Die Situation
belastete mich in einem kaum noch vorstellbaren Maß. Ich hätte mir nie träumen
lassen, daß die Sache mit meinem Vater so weit gehen würde. Ich hatte wirklich
gedacht, ich würde schon irgendwie über die Runden kommen, ich hatte doch den
Chor, meine Freunde, die Schule, Laury und Sandy. Schön dumm, das ernsthaft zu
glauben! Ich war einfach zu arglos, zu unverdorben.
Mit gleichaltrigen Jungs, das war alles
harmlos. Ich wollte ein bißchen Spaß haben und ab und zu ein wenig knutschen,
damit ich wie die anderen Mädchen sagen konnte: »Den hab’ ich auch schon
geküßt!« Mehr war da nicht. Mit meinem Vater war alles anders, irgendwie
schmutzig. Anfangs, ja, da waren es bloß kleine Küsse gewesen. Aber dann artete
es immer mehr aus. Wenn die anderen abends schliefen und wir vor dem Fernseher
saßen, streichelte er mich. Ich protestierte nicht. Mit der Zeit wurden seine
Berührungen zudringlicher, intimer. Es war... ich weiß auch nicht, es war
einfach anders. Zu guter Letzt schob er
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