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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly
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verunsichert.
Die Situation überforderte mich einfach. Ich sah keinen Ausweg. Ich war, wie
soll ich sagen, in ein Räderwerk geraten, das in Gang gesetzt worden und nicht
mehr zu stoppen war. Ich war machtlos.
    Die Bewunderung, die tiefe Zuneigung,
die ich nach wie vor für meinen Vater empfand, machten es mir noch schwerer,
die Dinge richtig einzuschätzen. Aber wie sollte ich ihm begreiflich machen,
daß meine Gefühle für ihn nicht vergleichbar waren mit jenen für einen
Gleichaltrigen?
    Papa behauptete unterdessen weiterhin,
das sei völlig normal. Er verglich uns mit Romeo und Julia und meinte, das sei
sehr schön mit uns. Ich fand es abstoßend. Außerdem fiel mir auf, daß er sich
in Gegenwart von Fremden zurückhielt und mich nur anfaßte, wenn wir allein
waren. Also tut er doch etwas Verbotenes, etwas Schlechtes, sagte ich mir.
Meine Zweifel wuchsen. Aber ich konnte doch nicht zu meiner Großmutter gehen
und fragen: »Ist das eigentlich normal, daß Papa mich auf den Mund küßt?«
    Heute weiß ich, es war eine
Riesendummheit — mein einziger Fehler — , daß ich den Mund gehalten habe. Durch
mein Schweigen habe ich es meinem Vater erst ermöglicht, bis zum Letzten zu
gehen. Ich hätte ihn zurückstoßen, hätte nein sagen sollen. »Laß mich in Ruhe,
das ist nicht gut, was du da machst«, hätte ich ihn anschreien müssen. »Das ist
nicht meine Aufgabe, ich bin nicht Mama!«
    Hätte ich doch...! Heute läßt sich das
leicht sagen. Ein Kind kann aber nicht darüber sprechen, es wird niemals den
Erwachsenen, der es mißbraucht hat, schon gar nicht den eigenen Vater,
beschuldigen oder anzeigen. Darin liegt doch — und das begreifen die
Erwachsenen eben nicht — das Problem des sexuellen Mißbrauchs von Kindern.
     
    Ich war sein kleines, zartes
Töchterlein, und ich liebte ihn, wie man seinen Vater liebt. Ich hatte sonst
niemand. Niemand, der mir zugehört, mir geglaubt, mich beschützt oder ganz
einfach erraten hätte, was vor sich ging. Ja, ich hätte sagen sollen: »Jetzt
reicht’s!« Daß ich es nicht getan habe, war ein großer Fehler. Ein Fehler mit
Folgen. Und so nahm das Unheil seinen Lauf. Ich konnte es nicht aufhalten, weil
ich allein und hilflos war und weil ich Angst vor Schlägen hatte. Ich hatte
nicht vergessen, wie er einmal in seiner Wut mit der Faust gegen die Wand
geschlagen hatte. Ein andermal hatte er sich vor seine Jagdgewehre gestellt und
Drohungen ausgestoßen. Vor allen Dingen aber — das muß gesagt werden — fürchtete
ich, ihn zu verlieren, wenn ich ihn anzeigte.
    Von meiner Mutter hatte ich mich
abgewandt. Hätte ich — wenn ich mich getraut hätte, wenn ich dazu in der Lage
gewesen wäre! — meinen Vater zurückgewiesen, wäre ich ganz allein gewesen. Ja,
ich hatte Angst, ihn zu verlieren. Ich hatte Angst, er würde mich genauso
vernachlässigen wie meine Geschwister, wenn ich nein sagte. Und diese Angst hat
er ausgenutzt. Damals erkannte ich das freilich nicht. Ich wollte seine Liebe
nicht verlieren, nur das zählte für mich.
    Er behauptete, meine Mutter habe mich
nicht mehr lieb. Das redete er mir ein, bis ich es zu guter Letzt glaubte.
»Hast du gesehen, was deine Mutter für Sandy und Laury gekauft hat?« sagte er
zum Beispiel. »Und warum hat sie dir nichts mitgebracht? Weil sie deine
Geschwister lieber mag als dich.«
    Mama kaufte jedem von uns, was er
gerade brauchte, aber mein Vater wollte mir weismachen, sie bevorzuge meine
Geschwister. Irgendwann sah ich das genauso und sagte mir: Meine Mutter liebt
mich nicht, meine Mutter liebt mich nicht. Er trichterte mir das ein, um einen
Keil zwischen mich und meine Mutter zu treiben. Vielleicht verfolgte er eine
bestimmte Absicht damit. Vielleicht wollte er unbedingt verhindern, daß ich mit
meiner Mutter sprach, mich ihr anvertraute. Und seine Rechnung ist aufgegangen.
    Papa wußte, was er tat. Er wußte genau,
wohin der Weg führte, den er mit seiner kleinen Tochter eingeschlagen hatte.
Ich nicht. Ich folgte ihm arglos. Deshalb sage ich: Alles war bestens vorbereitet,
damit die Falle zuschnappen konnte. Genauso war es. Mein Vater stellte mir eine
Falle. Und ich tappte blindlings hinein, weil der Fallensteller mein Vater war.
Wie bei einem Raubüberfall hat er seinen Coup sorgfältig geplant. Kann sein,
daß er nicht von Anfang an mit Berechnung vorging, sondern nach und nach seinen
Plan entwickelte.
    Er wußte, wie sehr meine Mutter an uns
Kindern hing. Ihr konnte er nichts tun, denn dann hätte sie ihn verlassen.

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