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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly
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verlieren. Ich hatte nur eine Gewißheit in der verzweifelten,
vertrackten Lage, in der ich mich befand: Die Rolle des kleinen Mädchens war
mir tausendmal lieber als die der kleinen Frau.

Ich hörte auf
zu singen
     
     
     
    Meine Musiklehrerin war es, die
irgendwann merkte, daß etwas nicht stimmte, und letztlich begriff, was los war.
Eines Abends gaben wir ein Konzert. Am Tag vorher hatte mein Vater es wieder
mit mir gemacht — wieder im Wohnzimmer, vor dem Fernseher — , und meine
Lehrerin sah mir an, daß ich angeschlagen war. Ich hatte mich verändert. Ich
war ganz still geworden und traurig und kapselte mich ab. Ich konnte nicht mehr
singen. Früher hatte mir das Singen solchen Spaß gemacht, und jetzt fehlte mir
sowohl die Kraft als auch die Lust dazu.
    Ich fühlte mich elend, weil ich es
nicht mehr länger ertrug, was mein Vater mit mir machte. Das ging nun schon
seit Monaten so. Er ließ mir keine Ruhe. Immer wieder kam er, faselte vom
Heiraten, von uns beiden, von »unserer Liebe«, wie er es nannte. Er küßte mich
auf den Mund, fummelte an mir herum. Mir war schrecklich unbehaglich dabei. Ich
hatte es wirklich satt, aber ich wußte keinen Ausweg. Ich wurde immer stiller,
immer verschlossener. Das fröhliche, glückliche, ausgeglichene Mädchen von
einst gab es nicht mehr.
    Inzwischen war mir klar, daß das alles
nicht normal war. Ich wollte nicht »Mann und Frau« mit meinem Vater spielen. Es
machte mir überhaupt keinen Spaß. Ich empfand nur Ekel und Schmerz, wenn er mit
mir schlief, aber er hat weiter rumgesponnen. Einmal beklagte er sich zum
Beispiel, ich würde mir nicht die geringste Mühe geben, damit es schön für ihn
sei, während er mich streichle, um mich zu befriedigen. Solche Sachen warf er
mir vor. Aber mich interessierte das alles überhaupt nicht, ich wollte davon
nichts wissen.
    Meine Musiklehrerin begann mich
auszufragen und mir die Würmer aus der Nase zu ziehen. Ich weiß nicht, wie sie
darauf gekommen ist, aber sie hat den richtigen Riecher gehabt. Sie wußte, was
los war. Es kommt selten vor, daß ein Erwachsener den Verdacht auf sexuellen
Mißbrauch hegt, wenn sich das Verhalten eines Kindes ändert. Insofern hatte ich
Glück im Unglück. Normalerweise können sich Erwachsene nicht vorstellen, daß
ein Kind von seinem Vater mißbraucht wird und nichts sagt. Meine Mutter hat ja
auch nichts gemerkt. Und Großmutter Mireille, die meinen Vater dabei ertappt
hatte, wie er mich auf recht sonderbare Art und Weise küßte, ging der Sache
auch nicht weiter nach, zu ungeheuerlich erschien ihr der Gedanke.
    Meine Lehrerin hat die Zusammenhänge
zum Glück durchschaut. Ihr war aufgefallen, wie sehr ich mich verändert hatte,
und daß ich irgendein Problem mit mir herumschleppte. Da war dieser Kloß in
meiner Kehle, der nichts durchließ, keinen Ton, nicht einmal beim Singen.
Andere hätten gesagt: »Das liegt an der Pubertät, das geht wieder vorbei.«
Meine Lehrerin nicht, sie hat richtig getippt. Ich weiß nicht, warum.
Vielleicht weil ich plötzlich so bedrückt, so still war? Sie hat jedenfalls den
Nagel auf den Kopf getroffen und das zum richtigen Zeitpunkt. Ich muß dazu
sagen, daß wir ein sehr gutes Verhältnis hatten. Sie wußte von Mamas Krankheit
und meinen vielen Pflichten zu Hause. Ich hatte ihr, ohne Einzelheiten zu
schildern, von der »schwierigen Situation« daheim erzählt. Wahrscheinlich hatte
ich unbewußt Signale ausgesandt, und sie fing sie auf und deutete sie richtig.
    An jenem Abend kam sie zu mir und
sagte: »Was ist los mit dir, Nelly?« »Nichts«, antwortete ich, »was soll denn
sein?« Sie faßte mich bei den Schultern und sah mir in die Augen.
    »Irgend etwas stimmt nicht mit dir. Ich
kenne dich doch. Irgend etwas bedrückt dich. Mir kannst du es doch sagen.« Ich
schüttelte den Kopf.
    Sie ließ nicht locker, sondern stellte
Fragen über Fragen. Und mit jeder kam sie der Wahrheit näher. »Heiß! Heiß!«
hätte ich ihr am liebsten zugerufen, so wie wir Kinder es bei unseren
Ratespielen machten. Aber als sie am Schluß darauf wartete, daß ich alles
zugab, schwieg ich. Da ergriff sie das Wort und schilderte mir, was sich ihrer
Meinung nach bei mir zu Hause abspielte. Es war, als könnte sie meine Gedanken
lesen. Teilchen für Teilchen setzte sie das Puzzle zusammen: das kleine
Mädchen, das vergewaltigt wird, der Erwachsene, der ihm Schmerzen zufügt. Nur
in einem Punkt irrte sie: Sie glaubte, ein Onkel täte mir das an. Schließlich
gestand ich: »Nein, es

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