Ich war seine kleine Prinzessin
ist nicht mein Onkel, es ist mein Vater.«
Fassungslosigkeit und Entsetzen
spiegelten sich auf ihrem Gesicht wider. Sie hatte meinen Vater damals, als ich
mir die Haare abgeschnitten hatte, kennengelernt und ihn ganz nett gefunden.
Und dieser freundliche, sympathische Mann war ein Kinderschänder? Sie zeigte
sich tief bestürzt.
»Du darfst dich nicht mehr mit ihm
einlassen, hörst du?« sagte sie und schüttelte mich dabei. »Wach endlich auf!
Das ist nicht gut, was er da mit dir macht, du mußt etwas dagegen unternehmen!«
Sie redete eine ganze Weile auf mich ein. Aber ich hatte Angst, ich wußte
nicht, wie ich es anfangen sollte, damit er mich in Ruhe ließ.
»Ich kann nichts sagen«; erklärte ich
ihr. »Dazu habe ich kein Recht.« »Du mußt!« beharrte sie. »Sag ihm, er soll
aufhören. Sag ihm, er soll dich zufriedenlassen. Du mußt es ihm sagen!«
An dem Abend holte mich Papa nach dem
Konzert ab. Im Auto stieß ich hervor: »Wenn wir zu Hause sind, muß ich mit dir
reden, Papa.« Ich war stolz auf mich, auf meinen Mut. »Klar, wann du willst«,
erwiderte er. Und lachte.
Er war keineswegs beunruhigt. Weshalb
auch? Alles lief nach Wunsch. An seinem Arbeitsplatz war er beliebt, und er
hatte ein gutes Auskommen. Daheim setzte er sich in seinen Sessel vor dem
Fernseher und wartete darauf, daß die anderen schlafen gingen, damit er mit mir
allein war.
Als wir zu Hause ankamen, verließ mich
plötzlich der Mut. Ich wußte nicht, wie ich anfangen sollte, und außerdem hatte
ich eine Heidenangst.
»Wolltest du mir nicht etwas sagen?«
fragte er.
»Ach, ist nicht so wichtig«, antwortete
ich ausweichend. »Das hat Zeit bis morgen.« Er ließ nicht locker. Ich holte
tief Luft und sagte:
»Papa, ich möchte, daß du damit
aufhörst, weil ich es echt satt habe.«
Er hatte sofort begriffen, was ich
meinte. Ich brauchte nicht deutlicher zu werden. Das Gespräch mit meiner
Lehrerin erwähnte ich nicht. Ich traute mich nicht. Seine Miene hatte sich vor
Wut verzerrt. Er preßte mir die geballte Faust ans Gesicht und herrschte mich
an: »Mach, daß du ins Bett kommst! Du weißt ja nicht, was du sagst!«
In jener Nacht habe ich kein Auge
zugemacht. Warum mußte ich auch den Mund so weit aufreißen, dachte ich immer
wieder. Ich blöde Kuh, hätte ich die Klappe gehalten! Daran ist nur meine
Lehrerin schuld! Was wird er jetzt machen? Mich verhauen? Ich wußte mir keinen
Rat mehr.
Am anderen Morgen setzte ich mich mit
gesenktem Kopf an den Küchentisch. Ich wagte nicht, meinem Vater in die Augen
zu sehen. Ich fühlte mich schrecklich elend und gedemütigt. Da trat er neben
mich, beugte sich zu mir herunter und küßte mich. Auf die gleiche anormale
Weise wie sonst auch: mit einem tiefen Zungenkuß. Und weil ich dachte, ich
hätte mich am Abend vorher dumm benommen, protestierte ich nicht und stieß ihn
auch nicht zurück. Obwohl mich diese Küsse anekelten, fügte ich mich und ließ
ihn gewähren.
Meiner Musiklehrerin werde ich sagen,
ich hätte meinen Vater gebeten, mich in Ruhe zu lassen, und er hätte es mir
versprochen, dachte ich. Damit ist der Fall erledigt.
Später ging ich wie jeden Tag zur
Schule.
Am Nachmittag, so gegen fünf, war ich
in der Küche. Meine Mutter hatte sich ins Schlafzimmer zurückgezogen. Da kam
mein Vater herein und fing wieder vom Heiraten an: daß es Länder gebe, wo Väter
ihre Töchter heiraten könnten, und wir könnten das auch, aber nur, wenn wir von
hier fortgingen, denn in Frankreich sei das verboten. Hier würde man uns ins
Gefängnis stecken...
Davon hatte er bisher nie etwas gesagt.
Fürchtete er nach unserer Unterhaltung vom Vortag, ich könnte ihn anzeigen? Er
wollte mir offensichtlich klarmachen, wie schwerwiegend seine Handlungsweise
war, was er riskierte — nämlich eine Gefängnisstrafe — , falls ich den Mund
aufmachte. Ich antwortete nicht. Ich dachte nur: Daran hättest du früher denken
sollen. Jetzt ist es zu spät.
Im gleichen Augenblick klopfte jemand
ans Fenster. Das war ungewöhnlich, wir bekamen nur selten Besuch. Draußen
standen Polizeibeamte. Mein Vater öffnete. Sie kamen seinetwegen. Sie legten
ihm Handschellen an und nahmen ihn mit. Warum, wollten sie uns nicht sagen.
Meinem Vater schien das völlig unerklärlich. Meine Mutter kam heraus. Sie sah
die Polizisten, meinen Vater in Handschellen. Sie fing an zu weinen. Laury,
Sandy und Leila machten erschrockene Gesichter. Die Gendarmen schickten uns auf
unser Zimmer. Und dann geschah etwas, das ich mir
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