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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly
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du
erreicht, daß er freikommt?« Großmutter Mireille habe seinem Anwalt zehntausend
Francs gezahlt, damit er ihn aus dem Gefängnis hole, erwiderte sie.
    »Mir macht es nichts aus, im Heim zu
leben, weißt du«, hatte ich daraufhin ganz leise gesagt. »Ich komme allein
zurecht. Ich bin schließlich kein Kind mehr. Bei Papa ist das was anderes. Papa
braucht dich.« Mama glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Und da sprach sie zum
erstenmal ganz offen mit mir, sie vertraute mir Dinge an, die sie bisher aus
Angst um uns Kinder für sich behalten hatte. Sie erzählte mir, weshalb ihre Ehe
mit Papa gescheitert war, was sie alles durchgemacht hatte, wie er sie
geschlagen und bedroht, ihr sogar damit gedroht hatte, alle umzubringen, wenn
sie ihn verließe. Sie sagte: »Dein Vater hat sich wie Rambo aufgeführt!«
     
    Ganz langsam setzte sich in meinem Kopf
ein neues Bild zusammen. Anfangs verhielt ich mich Mama gegenüber noch ziemlich
reserviert, obwohl ich mich über ihre Besuche freute. Mir war nicht klar, warum
sie kam, aber es war gut, sie zu sehen. Reden wollte ich allerdings nicht mit
ihr. Mit der Zeit begriff ich jedoch, was sie in ihrer Ehe durchgemacht und was
mein Vater ihr alles angetan hatte. Ich hatte das Gefühl, daß sie mich wirklich
liebte, daß sie mich immer geliebt hatte. Gleichzeitig erkannte ich, wie sehr
mein Vater mich belogen hatte. Es dauerte lange, bis ich fähig war, mir das
einzugestehen. Ich hatte Papa blind vertraut und mich völlig von meiner Mutter
abgewendet. Deshalb war bei uns alles schiefgelaufen.
    Mama besuchte mich regelmäßig jede
Woche. Jetzt brauchte sie nicht länger zu schweigen. Jetzt konnte sie endlich
reden. Und mir gingen bald die Augen auf. Endlich hatte ich den Schlüssel zu
meiner Geschichte. Mama brachte mir auch jedesmal Süßigkeiten mit. Und beim
Abschied weinte sie. Jeder Besuch, jedes Gespräch brachte uns einander näher.
Ich hatte endlich wieder eine Mutter! Nur eins wollte mir nicht in den Kopf:
Warum war es ihr nicht möglich, mich nach Hause zu holen? Für ein kleines
Mädchen ist das nicht leicht zu verstehen...
    Zuerst dachte ich: Vielleicht war sie
eingeweiht, vielleicht hat sie gewußt, was Papa mit mir machte. »Manche Mütter
wissen es und sagen nichts«, klärten die Mädchen im Heim mich auf.
    Irgendwann fragte ich Mama ganz direkt.
Sie starrte mich fassungslos an. »Wie kannst du so etwas denken?« Sie schwor
mir beim Leben von uns drei Kindern, sie habe keine Ahnung gehabt. Sie hatte
absolut nichts gemerkt, nichts mitgekriegt, meine arme Mama, sie war ja
vollgepumpt bis unter den Scheitel mit Schlaftabletten und Psychopharmaka...
Wenn sie es gewußt hätte, hätte sie die Kraft gefunden, meinen Vater
umzubringen. Wir Kinder waren ihr ein und alles, das Liebste, was sie besaß.
Als sie von der Polizei erfuhr, daß mein Vater mich vergewaltigt hatte, brach
eine Welt für sie zusammen.
    Meine Musiklehrerin besuchte mich
ebenfalls. Das war kurz nach meiner Ankunft im Heim. Damals nahm ich ihr die
Anzeige gegen meinen Vater ziemlich übel. Seine Verhaftung, meine Unterbringung
im Heim, wo ich todunglücklich war, das alles hatten wir nur ihr zu verdanken.
Warum hat sie sich überhaupt eingemischt? dachte ich. Was geht sie das
eigentlich an? Ihretwegen sitze ich jetzt in der Tinte. Warum hab’ ich Idiot
auch den Mund aufgemacht und ihr alles erzählt!
    In einer Situation wie meiner denkt man
eben nicht logisch. Jeden Tag grübelte ich darüber nach. Und dann stand sie
plötzlich da und wollte mich besuchen. Sie brachte mir Bonbons mit und ein
Plüschtier, einen kleinen Hund, der einen Pantoffel im Maul trug. Tagelang
schleppte ich den Hund mit mir herum, ich trennte mich keine Sekunde von ihm.
Er war das einzige, was mir ganz allein gehörte. Trotzdem habe ich meiner
Lehrerin Vorwürfe gemacht: »Warum bist du zur Polizei gegangen? Das hättest du
nicht tun dürfen! Was soll jetzt aus mir werden? Was wird aus Papa? Und aus
meiner Mutter?« »Ich habe es für dich getan«, antwortete sie. »Glaub mir, es
geschah nur zu deinem Besten.«
    Sie legte die Arme um mich und drückte
mich an sich wie eine Mutter. »Was wäre denn aus dir geworden, wenn ich
geschwiegen hätte? Was für ein Leben wäre das gewesen, mein armes Herz?«
    Da ist bei mir der Groschen gefallen.
Von der Seite hatte ich die Dinge noch gar nicht betrachtet. Hätte meine
Lehrerin nichts unternommen, wäre ich vielleicht noch Jahre von meinem Vater
mißbraucht worden. Mein Leben wäre die

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