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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly
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Sandy wieder ab.
    Einmal bin ich mitgefahren, weil ich
nicht allein zu Hause bleiben wollte. Aber ich stieg nicht aus, sondern wartete
unten im Auto. Da kam mein Vater heraus. Ich verriegelte sämtliche Türen. Er
wolle mir nur einen Kuß geben, rief er durch die Scheibe. Ich weigerte mich.
Ich rutschte vom Sitz, verkroch mich im Fußraum und schrie: »Geh weg! Laß mich
in Ruhe! Ich will dich nicht mehr sehen!«
    Er ging nicht. Ich kauerte heulend und
kreischend am Boden, während mein Vater am Türgriff rüttelte. Meine Mutter trat
dazwischen und forderte Papa auf, mich in Ruhe zu lassen. Aber dann mischte
sich Großmutter ein. »Er ist ihr Vater, er hat ein Recht, ihr einen Kuß zu
geben, wenn er will.« »Meinst du nicht, daß er schon genug Unheil angerichtet
hat?« erwiderte Mama.
    Das Ganze drohte zu einem handfesten
Krach auf offener Straße auszuarten. Bestimmt reckten die Nachbarn ringsum
schon neugierig die Hälse. Zum Schluß blieb mir nichts anderes übrig, als die
Autotür zu öffnen. Mein Vater gab mir einen Kuß. Ich hätte platzen können vor
Wut, ich weinte in einem fort. Warum meinen die Erwachsenen immer, sie müßten
alles kitten, was zerbrochen ist? Selbst wenn alles in Trümmern liegt, selbst
wenn das kleine Mädchen vom eigenen Vater vergewaltigt wurde? Das war mir
einfach unbegreiflich.
    Auch Mama war mit ihrer Geduld am Ende.
In höchster Erregung schob sie uns drei ins Auto und schlug die Tür zu. »Du
wirst deine Kinder nie wiedersehen!« Sie stieg ein, und wir fuhren nach Hause.
    Ich hatte Mama versprochen, keinen
Selbstmordversuch mehr zu unternehmen. Aber an jenem Abend brach ich mein
Versprechen. Ich riß eine Seite aus einem Schulheft und schrieb ein paar
Abschiedsworte: »Es tut mir sehr leid, Mama, und Du sollst wissen, daß es nicht
Deine Schuld ist. Ich habe es nur meinetwegen getan. Weil ich dieses Leben, in
dem andauernd neue Probleme auftauchen, nicht mehr ertragen kann. Sag Laury und
Sandy, ich habe sie sehr lieb. Sie werden mir fehlen. Ich möchte, daß mein
Leichnam verbrannt und die Asche ins Meer gestreut wird.« Ich unterschrieb mit
»Eure Euch liebende Nelly«. Ich faltete das Blatt zusammen, schob es in einen
Umschlag und schrieb darauf: »Für Mama«.
    Es war ganz still, draußen auf der
Straße ebenso wie drinnen im Haus. Ich legte den Umschlag auf mein
Nachttischchen. Dann schluckte ich Schlaftabletten. Mama hatte vor einiger Zeit
wieder damit angefangen, Tabletten zu nehmen, weil sie einfach nicht mehr
konnte. Ich hatte heimlich welche auf die Seite geschafft, für den Notfall
sozusagen. Ich legte mich ins Bett. Es war ein Uhr früh. In ein paar Stunden,
wenn die anderen aufwachten, würde ich schon weit weg und endlich erlöst sein...
    Aber aus irgendeinem Grund wachte meine
Mutter in der Nacht auf. Ein mütterlicher Instinkt vielleicht? Jedenfalls stand
sie auf und sah, daß in meinem Zimmer noch Licht brannte. Verwundert öffnete
sie die Tür, und da fiel ihr Blick auf den Umschlag auf meinem Nachttisch.
Hätte sie ihn nicht entdeckt, hätte sie geglaubt, ich schliefe tief und fest.
So aber las sie »Für Mama« und wußte sofort Bescheid. Sie weckte das ganze Haus
auf und brachte mich auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus. Der dritte
Fehlschlag in Folge. Es hatte ganz den Anschein, als sollte ich noch nicht
sterben dürfen.
     
    Meine — unsere — einzige Rettung
bestand darin, alle Brücken hinter uns abzubrechen, nicht nur die Bindungen zu
meinem Vater zu lösen, sondern auch die zu meinen Großeltern, wenngleich sie
keine Schuld traf. Aber wieder einmal fehlte uns jemand, der uns hätte beraten
können.
    Als meine Mutter zum Beispiel die
Scheidung beantragte, wurde ihr ein Armenanwalt gestellt, weil sie ja über kein
eigenes Einkommen verfügte. Der Anwalt war eine Frau, und unser Fall
interessierte sie nicht die Bohne. Sie wies meine Mutter weder darauf hin, daß
sie wegen des Inzests Strafanzeige gegen meinen Vater erstatten mußte, noch
riet sie ihr dazu, als Nebenklägerin aufzutreten. Mama hatte gedacht, das sei
alles automatisch in die Wege geleitet worden, weil mein Vater doch von der
Polizei abgeholt worden war und vier Tage im Gefängnis verbracht hatte. Irrtum:
Sie mußte Anzeige erstatten, sonst geschah überhaupt nichts. Das ist lachhaft,
aber es ist so. So was kommt in Frankreich tagtäglich vor. Und einfache Leute
wie wir verstehen nun mal nichts von Rechtssprechung.
    Mama fragte mich, ob ich wolle, daß mein
Vater sich vor Gericht

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