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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly
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verantworten müsse. »Nein«, antwortete ich spontan. Ich
fühlte mich meinen Geschwistern gegenüber sowieso schon schuldig: Meinetwegen
hatten sie keinen Papa mehr. Ich wollte nicht auch noch dafür verantwortlich
sein, daß mein Vater ins Gefängnis kam. Eine solche Entscheidung zu treffen ist
schwer, viel zu schwer für ein kleines Mädchen.
    Wenn ich meinen Vater vor Gericht
bringe und er wird verurteilt, dann bin ich diejenige, die ihn ins Gefängnis
schickt, sagte ich mir. Nicht der Richter, nicht die Gesellschaft bringt ihn
dorthin, sondern ich. Ich ganz allein. Und da man es bisher nicht für nötig
gehalten hatte, ihn einzusperren, sah ich keinen Grund, weshalb ausgerechnet
ich ihn jetzt hinter Gitter bringen sollte.
    Die Rechtsanwältin meiner Mutter
verabschiedete sich schon bald. Daraufhin bekamen wir eine andere zugewiesen.
Das war 1991. Und diesmal hatten wir Glück. Odile Ducret ist eine
beeindruckende Frau. Sie hörte Mama zu, ging auf sie ein und interessierte sich
wirklich für unseren Fall. Sie erklärte meiner Mutter genau, wie wir vorgehen
mußten. Auch mit mir unterhielt sie sich ausführlich. Ich müßte mir einen
eigenen Anwalt nehmen, sagte sie. So schreibe es das Gesetz vor.
    Daraufhin wurde mir Marc Geiger als
Anwalt zugewiesen Meine Mutter sah es mit Sorge. »Ein Mann? Ich weiß nicht, ob
das das richtige ist. Kann ein Mann sich in Nelly einfühlen? Wird er den
richtigen Draht zu ihr finden?«
    Dann erhielt Mama eine Vorladung von
der Untersuchungsrichterin. Sie empfing meine Mutter recht frostig. Mama
wunderte sich über diese Kühle. »Warum haben Sie nicht sofort Anzeige gegen
Ihren Mann erstattet?« wurde sie in schroffem Ton gefragt. »Weil ich nicht
wußte, daß das erforderlich ist.« »War es nicht vielmehr so, daß Sie Bescheid
wußten und die Handlungsweise Ihres Mannes duldeten?« Da begriff meine Mutter:
Sie wurde der Mitwisserschaft verdächtigt. Denn es kommt gelegentlich vor, daß
eine Frau es stillschweigend hinnimmt, wenn sich ihr Mann an ihrem Kind
vergeht.
    Für Mama war diese Unterstellung ein
Schlag ins Gesicht. Mit Tränen in den Augen schilderte sie der
Untersuchungsrichterin unsere Situation: »Nelly wollte nicht, daß ihr Vater ins
Gefängnis kommt. Sie fühlt sich ohnehin schon für alles verantwortlich, sie
gibt sich die Schuld an unserer Trennung, an der Zerrüttung unserer Familie, am
Verlust unseres Hauses und am Entzug des Sorgerechts für unser Pflegekind
Leila. Das alles ist nicht leicht zu verkraften für eine Zwölfjährige... Und
auf mich ist alles gleichzeitig eingestürzt. Ich bin mittellos, wir müssen zu
viert mit 1.000 Francs Lebensmittelzuschuß und 2.100 Francs Kindergeld im Monat
auskommen... Nelly hat schon als kleines Mädchen davon geträumt, Tänzerin zu
werden. Aber den Ballettunterricht können wir uns jetzt nicht mehr leisten. Und
meine Bekannten, unsere Verwandten und die Freunde von früher haben den Kontakt
zu mir abgebrochen... Außerdem habe ich gesundheitliche Probleme, das macht die
Sache auch nicht gerade leichter. Und vom Sozialamt läßt sich nie jemand bei
uns blicken, keiner fragt, wie es uns geht. Was ich brauche, ist Hilfe, keine
Vorwürfe. Können Sie das verstehen?«
    »Das verstehe ich sehr gut, Madame«,
antwortete die Untersuchungsrichterin sichtlich bewegt. »Eine solche Situation
ist nie leicht. Die Mädchen sind verstört und die Mütter überfordert. Sie
wissen nicht, was in so einem Fall zu tun ist.«
    Dann riet sie meiner Mutter, gemeinsam
mit uns Kindern eine Familientherapie zu machen. »Sie brauchen unbedingt
psychologische Betreuung, allein schaffen Sie es nicht. Sie werden finanzielle
Unterstützung erhalten.« Endlich hatten wir es einmal mit Menschen zu tun, mit
denen man reden konnte, Menschen, die imstande waren, sich in unsere Lage zu
versetzen!
    Die Untersuchungsrichterin
beschleunigte das Verfahren. Sie lud mich vor und unterhielt sich lange mit
mir. Sie war sehr freundlich und machte mir Mut. Das Gespräch half mir, meine
Schuldgefühle abzubauen.
    Dann traf ich zum erstenmal meinen
Anwalt. Mit dreizehn einen eigenen Anwalt haben, das fand ich schon beeindruckend.
Er lobte meinen Mut und sagte, ich hätte richtig gehandelt, und ich könne auf
ihn zählen.
    Auch zu Hause ging es wieder ein wenig
aufwärts. Philippe, Mamas Freund, fing uns auf. Das war wirklich das richtige
Wort dafür, denn wir hatten uns ja im freien Fall befunden. Philippe sprach
viel mit uns. Ich entdeckte, daß ein Mann einem Kind

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