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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly
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sehr viel geben konnte. Er
nahm mich ernst, er glaubte mir, wenn ich etwas sagte. Er wäre ein wunderbarer
Vater für uns gewesen. Und trotzdem konnte ich mich nicht überwinden, mit ihm
über die Vergangenheit zu sprechen.
    Es gab aber noch genug Unerfreuliches
in unserem Leben. Mein Vater war ja nach wie vor ein freier Mann. Er fuhr mit
Großmutters Renault 5 herum und konnte jeden Augenblick bei uns auftauchen.
Trotz der Zwischenfälle bei unseren Besuchen hatten meine Großeltern einen
Antrag auf Besuchserlaubnis gestellt: Laury und Sandy sollten jedes zweite Wochenende
sowie die Hälfte der Schulferien bei ihnen verbringen. Wir mußten eine
einstweilige Verfügung beantragen. Zum Glück wurde der Antrag meiner Großeltern
abgelehnt. Aber Großmutters Anwalt konnte es sich nicht verkneifen zu fragen:
»Ist das eigentlich erwiesen, daß Nelly von ihrem Vater vergewaltigt wurde?«
    Wann würde man mir endlich Glauben
schenken? Ich wußte, das Gerichtsverfahren war meine einzige Chance, aber
gleichzeitig hatte ich Angst davor.
    Die Verhandlung wurde auf den 12. und
13. Januar 1993 anberaumt. Für mich begann eine schwierige Zeit. Eine Zeit mit
Höhen und Tiefen. Eine Zeit, in der ich unter Weinkrämpfen und Depressionen
litt und der Knoten in meinem Bauch sich eher noch fester zusammenzog. Eine
Zeit, in der ich aber auch, zusammen mit meiner Mutter und meinem Anwalt, eine
wichtige Entscheidung traf: Die Verhandlung sollte öffentlich sein. Damit endlich
die Wahrheit ans Licht käme. Es waren so viele Lügen, so viele Gerüchte über
mich in Umlauf, daß ich darauf brannte, die Dinge richtigzustellen, und zwar
vor aller Welt. Eine andere Möglichkeit, einigermaßen heil aus der Sache
herauszukommen, gab es nicht.

Die
Verhandlung
     
     
     
    Die Entscheidung, ob ich meinen Vater
vor Gericht bringen sollte oder nicht, ist mir gewiß nicht leichtgefallen. Ich
meine, stellen Sie sich das vor: mit dreizehn Jahren den eigenen Vater zu
verklagen! Nach meiner Entlassung aus dem Heim hatte Mama mich gefragt, ob ich
Anzeige gegen meinen Vater erstatten wolle. Sie dachte, das könnte befreiend
wirken. Aber ich wollte nicht. Ich war noch nicht soweit. Ich glaube, in meinem
tiefsten Inneren empfand ich noch immer etwas für ihn. Es wäre mir herzlos
vorgekommen, ihn hinter Gitter zu bringen. Allein schon wegen Laury und Sandy
hatte ich Skrupel: Ich wollte ihnen nicht den Vater wegnehmen.
    Aber als ich ernsthaft darüber
nachdachte, kam ich zu der Überzeugung, daß er bestraft werden müsse. Er hatte
unsere Familie zerstört, unser aller Leben ruiniert. Und dann all die Probleme,
mit denen ich mich herumschlug: mein gestörtes Verhältnis zu Jungs, meine
Schwierigkeiten in der Schule, meine Selbstmordversuche, die Dummheiten, die
ich gemacht hatte. Von den Gerüchten, den Verleumdungen, die über mich in
Umlauf waren, gar nicht zu reden. Es hieß, ich sei eine »kleine Schlampe« und
selbst schuld an der ganzen Sache. Meine eigene Großmutter hielt mich für eine
Lügnerin. Ich wollte, daß die Wahrheit festgestellt wurde. Ich wollte
Gerechtigkeit. Was ich brauchte, war ein Gerichtsurteil, das mich von dem
Vorwurf der Mitschuld an meiner Vergewaltigung freisprach.
    Ich habe sehr lange und sehr gründlich
darüber nachgedacht, und eines Tages bin ich zu meiner Mutter gegangen und habe
zu ihr gesagt: »Mama, ich will, daß Papa vor Gericht kommt. Er soll für das,
was er getan hat, büßen.«
    Daraufhin beschlossen wir, die Sache in
Angriff zu nehmen, auch wenn wir nicht viel Geld hatten und es alles andere als
einfach werden würde. Allein bei dem Gedanken, mich im gleichen Raum wie mein
Vater aufzuhalten, wurde mir schlecht. Und dann noch in aller Öffentlichkeit
über intime Einzelheiten zu sprechen und zu wissen, daß meine Aussage ihn
hinter Gitter bringen würde...
    Ich dachte auch an meine Freunde und
Klassenkameraden. Es ist nicht schön, wenn man auf die Frage: »Was macht denn
dein Vater?« »Das ist nicht mein Vater, sondern mein Stiefvater.« »Und dein
richtiger Vater? Wo ist der?« »Im Gefängnis« antworten muß. Man kann sich
einfach nicht vorstellen, daß der eigene Vater im Gefängnis sitzt, so
ungeheuerlich ist der Gedanke.
    Das alles hielt mich zunächst davon ab,
meinen Vater zu verklagen. Aber dann entschloß ich mich doch, den Sprung zu
wagen. »Papa muß vor Gericht.« Nicht allein meinetwegen, sondern auch um meiner
Geschwister und all der Kinder willen, die Opfer sexuellen Mißbrauchs werden
und sich

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