Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
Vom Netzwerk:
jeden
Verdacht erhaben. Ich hätte so sehr gewünscht, daß er sich verrät, daß er dabei
erwischt wird, wie er mit dem Gürtel auf mich einschlägt. Aber ich wäre auf der
Stelle vor Scham gestorben, hätte man uns bei der Tätigkeit entdeckt, die er
Liebe nannte.
    Und dann auch das: Wenn meine Mutter
davon erführe, würde sie sich umbringen. Er hat dieses Argument, das für ein
Kind schlimmer als alle anderen ist, nicht sofort vorgebracht, aber es stand
unausgesprochen im Raum. So als hätte er es gesagt. Mama würde daran sterben.
    Also habe ich auch an diesem Abend den
Mund gehalten, wie an den anderen, und an den kommenden Abenden. Ich wurde hart
im Haß und in der Verachtung, den beiden Pfeilern des Alterns. Denn in meinem
Fall altert man schnell. Man wird schnell erwachsen. Man kapiert schnell. Die
Kindheit bleibt irgendwie verstümmelt, unvollendet, für immer verloren. Die
Dreckskerle töten Ihr Innerstes.
    Ein Kopfnicken, um mir anzudeuten, daß
ich heute abend Arbeit habe. Ein Blick, der sagt, daß ich nichts zu lachen
haben werde. Für diesen Idioten ist es ein Machtspiel, er liebt es, mich mit
einem Kopfnicken zu verletzen. Er muß sich fühlen wie ein kleiner erbärmlicher
Hitler in seinem Harem. Das ist sein Wesen. Man kann ihn nicht ändern.
    Er öffnet die Holztür, wirft einen
Packen Papierbogen zum Rechnungen schreiben auf den Schreibtisch. Heute abend
zittere ich nicht, auch wenn er nicht redet und mir dies nichts Gutes verheißt.
Ich frage nichts. Er würde mich nur schroff zurechtweisen. Heute abend kann ich
mich nicht weigern wie gestern, oder ich werde eine fürchterliche Tracht Prügel
bekommen. Ich zünde eine Zigarette an und warte. Ich warte eben, auf was, weiß
ich nicht. Daß er etwa zu mir sagt, ich solle schlafen gehen, man weiß ja nie.
Daß er mich um Verzeihung bittet; träumen ist immer erlaubt.
    Dann kommt der Augenblick der Angst:
Ich habe die Arbeit beendet und warte auf seine Befehle. Nun schon eine
Gewohnheit. Er schaut mich undurchdringlich an:
    »Zieh dein Nachthemd an!«
    Ich gehorche. Ich behalte meinen Slip
an. Ich ertrage es nicht, nackt zu sein, insbesondere an dieser Stelle des
Körpers.
    Er holt eine Decke aus einem Schrank,
breitet sie über seinen Schreibtisch, löscht die Lichter. Ich denke an nichts,
ich darf nicht denken. Nimm an, du wärst eine Marionette, die kein Gehirn hat,
und laß es geschehen. Gefühllos, eine Puppe aus Holz, aus Eisen, aus Blei, aus
Beton.
    »Zieh dich aus! Warum behältst du
deinen Slip an?«
    Ich hab’s satt, satt, satt...
    Ich konnte mir noch so sehr verbieten,
in diesen Augenblicken zu denken, es war unmöglich. Ich sagte mir, »ich hab’s
satt« und gleich darauf: »Ich möchte sterben, verschwinden.« Das waren
natürlich nur Worte, eine Reaktion, aber dieser Gedanke vom Tod, vom
Verschwinden und den Mitteln, es zu verwirklichen, wurde immer konkreter. Wie
ein Stierkämpfer hatte ich den Coup mit dem Lastwagen versucht. Das war zu
Anfang. Ich spielte »mit dem Lastwagen sterben«, ohne mir klar zu werden, daß
ich wirklich den Tod riskierte. Ohne wirklich zu wissen, was der endgültige Tod
war. Der Tod, den ich unter dem Lastwagen suchte, war das Krankenhaus, die
Rettung. Vielleicht auch Bestrafung. Finden Sie es selbst heraus, ich bin kein
Psychologe. Aber besonders in dieser Nacht wurde der Gedanke an den Tod so
stark, daß ich begann, das sicherste Mittel zu suchen, um ihn herbeizuführen.
Ich dachte daran, während er seine gräßlichen Verrichtungen durchführte. Er
legte mich nackt auf seinen Ministerschreibtisch. Ich nackt, er nicht. Er
öffnete seinen Hosenschlitz, er streichelte mich, er suchte sein Vergnügen, wo
er konnte, und fragte mich dabei, ob es mir gefalle. Unaufhörlich. Ich
antwortete nicht, ich biß die Zähne zusammen. Also befahl er mir, es zu sagen,
und ich weinte während ich es leise sagte, so leise wie möglich. Aber ich mußte
es deutlicher sagen, mit lauter Stimme. Wie üblich war mir schlecht. Auch das
war mir zur Gewohnheit geworden, dieses Bedürfnis zu kotzen, der Magen hebt
sich und gleichzeitig schnürt es mir die Kehle zusammen, so stark, daß nichts
hochkommen kann. Das Bedürfnis zu kotzen bleibt im Inneren. Ein verheerendes
Gift. Währenddessen beharrte er darauf, daß ich seinen Unsinn wiederholte.
    Ich lag ausgestreckt da, rührte mich
keinen Deut, das ging ihm auf die Nerven. Er wollte, daß ich mich bewege...
Können Sie sich das vorstellen? Er wollte, daß ich mich bewege wie die

Weitere Kostenlose Bücher