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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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nichts machen? Weißt du, im Augenblick bin ich
wirklich müde, ich hab zu gar nichts Lust. Zu überhaupt nichts.«

7
     
    Sehen Sie... Ich versuchte es mit
Freundlichkeit, mit neutralem Verhalten. Weil ich seine Überraschung nicht
begriff. Was sollte das heißen, wir tun alles, was du willst? Schließlich
mochte ich nichts. Schließlich ekelte mich alles an. Nur konnte ich das nicht
antworten. Ich hatte schon versucht, es zu sagen, und das Ergebnis war der
Gürtel gewesen. Ich konnte nur probieren, mich dumm zu stellen: Was ich gerne
täte, wäre, mich schlafen legen, weil ich müde war.
    Plötzlich hat sich sein Gesicht
verwandelt. Er ist weiß wie eine Aspirin-Tablette geworden. Ich wußte nicht, ob
es die Wut oder sein Geschwür war, das ihn schmerzte. Er sprach oft von seinem
Geschwür. Angeblich rauchte er, um es zu beruhigen. Der Shit konnte ihm nicht guttun,
ich kenne mich in medizinischen Dingen nicht aus, aber so viel weiß ich
immerhin. In dem Augenblick, als ich ihn so weiß werden sah, sagte ich mir »Wut
oder Geschwür«. Es war Wut... Er ist aufgestanden und hat mich mit hohlen
Phrasen beleidigt: Ich hätte nicht das Recht, ihm so etwas zu sagen, es wäre
wirklich gemein von mir. Ich liebte ihn nicht, ich wäre eine kleine Schlampe,
die ihren Vater nicht liebte, die überhaupt nichts verstand... eine Menge
solches Zeug. Ich hab’s nicht behalten, ich hatte viel zu viel Schiß, daß er
mich schlagen würde. Ich senkte den Kopf — im Magen vor Angst ein flaues Gefühl
— unter der Flut dieses zusammenhanglosen Unsinns; er schlug mit beiden Fäusten
auf seinen Schreibtisch, und ich erinnere mich nur noch an das folgende: »Du
liebst mich nicht, du liebst deinen Vater nicht, du hast kein Recht, mir das
anzutun.« Alles übrige ging in der chaotischen Situation unter. Am Ende hat er
mir befohlen, mich schlafen zu legen, wobei er noch einmal mit seinen Fäusten
auf den Tisch schlug.
    Und ich, anstatt mich eiligst aus dem
Staube zu machen, blieb stehen, ohne zu wissen, was ich tun sollte, ohne zu
begreifen. Ich hatte das freundlich gesagt, ich hatte sogar sehr darauf
geachtet, ihn nicht zu verletzen. Deshalb war ich völlig hilflos angesichts
seiner Reaktion. Sollte ich bleiben oder gehen? Ich glaube, ich hatte Angst,
fürchtete, er würde mich zurückholen und schlagen. Ich hätte gewünscht, daß,
wie durch Zauber, jemand da wäre, um mir zu sagen, was ich tun sollte.
Ausreißen oder nicht? Ich durfte keine Zeit verlieren. Ich beschloß, alles auf
eine Karte zu setzen. Ich bin mit erhobenem Kopf hinausgegangen, mit wie rasend
klopfendem Herzen, wie nie zuvor.
    Sehen Sie mich? Ich sehe mich sehr
deutlich wieder an diesem Abend die Türe öffnen; mein Herz zersprang fast, so
heftig pochte es. Die Türe wieder schließen. Weder zu schnell noch zu langsam
den Flur entlanggehen, mit der Angst, daß er hinter meinem Rücken auftaucht und
mich beim Hals packt, um mich in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen. Ich
erinnere mich, daß mein Mund trocken war, ich hätte literweise Wasser trinken
können.
    Erst als ich mich ins Bett legte, sah
ich, daß ich am ganzen Körper zitterte. Unmöglich, damit aufzuhören. Es war,
als hätte man mich unter Strom gestellt. In meinem Gehirn war nur ein Gedanke:
Er wird zurückkommen, er wird mich schlagen, ich will nicht, ich will nicht
gequält werden.
    Und keine Aussicht auf Schlaf, kein
Mittel, den immer wiederkehrenden Gedanken zurückzudrängen: Wann wird das ein
Ende haben? Wann wird er mich ein für allemal in Frieden lassen? Ich hatte
diese Lügen satt, dieses dreckige Betrügerleben. Ich wollte normal sein. In den
Spiegel schauen, ohne mir etwas vorzuwerfen. Wie Flo sein, ein ganz normales
Mädchen.
    In den Spiegel schauen, vor allem an
jenem Abend, mit dieser Clownsvisage und den blaugeschminkten Augen, das konnte
ich nicht. Alles, was ich ertragen mußte, stand mir im Gesicht geschrieben. Das
sah man, ich sah es. Es war nicht wie im Märchen »Spieglein, Spieglein an der
Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?« Es hieß: »Spieglein, ich weiß, daß
ich die Häßlichste bin. Die Schmutzigste.« Was sollte ich anstellen, um wie die
anderen Mädchen meines Alters zu sein? Wenn Flo in den Spiegel schaute, dann,
um einen Pickel auszudrücken oder sich die Wimpern zu tuschen. Um sich schön zu
machen. Ich sah darin Dinge... Dinge... all diese entwürdigenden,
erniedrigenden Dinge, die ich im Kopf hatte. Man kann seinen Kopf nicht in
Bleichmittel stecken. Man

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