Ich war zwölf...
Dusche, zog ich mich wieder an, um
fünf Minuten später erneut zu duschen.
Noch heute ertrage ich es nicht, nackt
zu sein. Noch heute liebe ich auf meine Weise. Um dem anderen einen Gefallen zu
tun. Nicht mir selbst. Ich kann nicht gut ein Kleid tragen. Kann mich unmöglich
völlig entblößen. Zuweilen, wenn es mir nicht gut geht, schlafe ich in Hosen.
Am liebsten streife ich einen Pullover über mein Nachthemd. Ich behalte meinen
Slip an, ziehe Socken über.
Noch heute weiß ich nicht, was die Lust
ist, von der alle reden. Sie kommt mir manchmal in den Sinn, sofern sich der
Teufel nicht einmischt. Sofern ich nicht furchtbare Bilder an mir vorüberziehen
sehe. Ich habe für meine Wohnung noch immer keine Waschmaschine gekauft.
Verstehen Sie das?
An diesem Abend, dem wichtigsten meines
Lebens, war ich so verrückt, meiner Cousine mein großes Abenteuer zu erzählen.
Und sie lachte über meine Angst, schwanger zu sein.
»Man wird nicht schwanger, wenn man das
erste Mal mit jemandem schläft, niemals.«
Sie war in meinem Alter, und sie
glaubte an die Straffreiheit beim ersten Mal, wie an einen Zauber.
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher. Also los, erzähl... Wie
war’s?«
Ich habe nichts erzählt. Ich habe
gesagt, daß es wundervoll gewesen wäre. Daß ich verliebt und das Leben schön
wäre, und dann bin ich ausgeklinkt. Ich habe alles vergessen, ich habe getanzt
und mich aufgeführt wie eine Hysterikerin. Bruno mit mir, um mich herum, an
diesem Abend war Bruno mein ganzes Leben. Eine phantastische Droge.
Am nächsten Morgen habe ich Bruno
überall im ganzen Viertel gesucht, ich hatte vergessen, daß er weggefahren war,
daß er sich bei mir für drei Wochen verabschiedet hatte. Ich weiß nicht, was in
meinem Kopf vorgegangen ist. Ein schwarzes Loch. Das einzig Deutliche war das
Gesicht von einem Freund, der mich überrascht anschaute, als ich ihn fragte:
»Wo ist Bruno? Hast du ihn heute morgen
gesehen?«
»Aber er ist doch weggefahren...
Nathalie, spinnst du oder was?«
Weggefahren. Ich war dem Wahnsinn nahe.
Es stimmte, er war weggefahren, ich wußte es, und dennoch suchte ich ihn.
Er war für drei Wochen weggefahren,
eine Ewigkeit.
Erneute Vorladung in das
teppichbespannte Garagenbüro:
»Wie wär’s, wenn wir einmal über Bruno
sprechen würden?«
Heute ist er ganz der zuvorkommende
Papa, Papa als Ausfrager, als Lehrmeister:
»Daß mir das ja nicht deine Schulergebnisse
beeinträchtigt.«
Schweigen.
»Hat er dich gefragt, ob du mit ihm
gehen möchtest?«
Ich tue so, als verstünde ich nicht. Er
bringt es nicht fertig, die Frage direkt zu stellen.
»Ich meine, hast du Lust gehabt, mit
ihm zu gehen?«
Er wird nicht darum herum kommen, es
auszusprechen.
»Seid ihr zusammen gegangen?«
»Und wenn es so wäre, glaubst du, dir
würde ich das sagen?«
»Hast du mit ihm geschlafen?«
Na also. Er hat’s fertiggebracht, nachdem
er so lange um den heißen Brei geredet hat. Ich hebe den Kopf und antworte:
»Ja.«
»Hast du Lust empfunden?«
Er hofft, daß ich mit »nein« antworten
werde. Das sehe ich an seinen Augen, höre es an seiner Stimme.
»Ja.«
Lüge ich ihn an? Er weiß es nicht.
Es ist phantastisch, ihm gegenüber im
Vorteil zu sein. Wir sind zu zweit gegen ihn. Ich fühle mich stark.
»Jedenfalls bleibst du morgen bei mir.«
»Morgen ist Samstag. Ich habe Bruno
versprochen, mit ihm auszugehen.«
»Versteh mich recht, Nathalie. Ich
erlaube dir, zu schlafen, mit wem du willst, obwohl du minderjährig bist und
ich absolut das Recht habe, es dir zu verbieten. Auch das Recht, es deiner
Mutter zu erzählen. Du weißt, deine Mutter wäre nicht damit einverstanden. Du
bist zu jung.«
»Zu jung? Und für alles andere bin ich
nicht zu jung?«
»Das ist nun mal so. Ich verbiete
nichts. Die anderen verbieten den Inzest. Nicht ich, nicht du. Wir wissen, daß
es normal ist. Also, ich verbiete nichts unter der Bedingung, daß du mir
gehorchst.«
»Gut, ich kann also heute abend mit
Bruno ausgehen?«
»Du kannst, aber morgen bleibst du bei
mir.«
Die Erpressung. Er wußte, daß ich Angst
hatte, meiner Mutter mit diesem Thema zu kommen. Er war stolz auf sich. Mama
hätte mich umgebracht. Wie konnte ihr Baby mit einem Mann schlafen. Sie würde
ein falsches Bild von mir haben. Ich konnte nicht zu ihr sagen: »Mama, ich
schlafe mit einem Mann, um nicht in Lyon mit irgendwelchen ekelhaften Kerlen
schlafen zu müssen.« — »Mama, ich schlafe mit einem Mann, um Papa zu entgehen.«
— »Mama,
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