Ich war zwölf...
ich schlafe mit einem Mann, um mir selbst zu beweisen, daß ich
jemanden lieben kann.« — »Mama, es ist nicht einfach, mit einem Mann zu
schlafen, aber ich habe beschlossen, es zu tun, damit Papa mich in Ruhe läßt.«
Übrigens ließ er mich nicht in Ruhe. Ich
wurde nur geschont, wenn Bruno zu Hause war. Aber ich wurde ruhiger. Ich konnte
mit Mama sprechen. Besser als vorher. Von meiner Zukunft, zum Beispiel.
Ich werde Rechtsanwältin werden. Ich
werde ein ausgefülltes Leben mit Kindern haben. Und sie, sie sprach mit mir
über ein Abenteuer: Eines Tages würde sie eine Kreuzfahrt auf einem großen
Überseedampfer machen, der niemals wieder in den Hafen zurückkehrte. Eine ewige
Kreuzfahrt.
Ich träumte von einem Ehemann, der mich
nie anrühren würde. Von einer Mutter, die ich ganz für mich hätte. Träume, die
in der Küche umherschwirrten, mit den Möbeln aus hellem Holz und den karierten
Vorhängen. Bis zu dem Moment, als das verhaßte Motorengeräusch des Mercedes
alles zunichte machte.
Aber ich lernte wieder, meine Mutter zu
lieben. Ich wurde auch eine Frau. Ich hatte endlich auch ein Geheimnis für mich
allein, ein ganz besonderes. Es hieß Bruno.
Und ich hatte dazu noch eine Freundin,
eine richtige. Valérie, hübsch, blond, geschwätzig, intelligent. Sie kam aus
Afrika, sie war in der Oberprima meiner neuen Schule, ich in der Sekunda. Mit
Valérie konnte ich über alles reden, sogar über intime Dinge, die Bruno
betrafen. Seltsamerweise mochte sie meinen Vater nicht. Sie fand ihn
»undurchsichtig«. Wenn sie sich bei uns zu Hause begegneten, war sie genauso
aggressiv wie er, er flößte ihr keine Angst ein. Sie fand seine Gewalttätigkeit
und sein ständiges herrschsüchtiges Gehabe blödsinnig. Das war mir unangenehm.
Als könne sie es instinktiv erahnen. Eines Tages hat mir Valérie eine
Begebenheit erzählt, an die ich mich überhaupt nicht mehr erinnere.
Anscheinend habe ich sie eines Abends
mit tränenerstickter Stimme von zu Hause aus angerufen. Ich stammelte, daß ich
mich mit meinem Hund unter der Treppe versteckt hätte, daß es mir schlecht
ginge oder daß ich mich fürchtete. Sie hat geglaubt, ich hätte getrunken oder
irgend etwas genommen. Ich muß tatsächlich Tabletten genommen haben. Dienstags
oder freitags, nach den fürchterlichen Szenen, packte es mich häufiger. Ich
schluckte etwa zehn Beruhigungspillen, die ich aus dem Arzneischränkchen meiner
Mutter gestohlen hatte, und ließ mich in die Bewußtlosigkeit fallen. Vielleicht
nicht gerade, um zu sterben, aber um zu entschwinden, zu vergessen,
dahinzudämmern. An diesem Abend holte sie mich ab, wir gingen zum samstäglichen
Tanzfest, um Freunde zu treffen. Wir flüchteten auf die Toilette, um uns zu
unterhalten, sie begriff nicht, was mit mir los war. Also knöpfte ich meine
Bluse auf, ich habe ihr die Striemen der Schläge auf meiner Brust gezeigt. Ich
habe so heftig geweint, daß ich mich nicht verständlich machen konnte. Mein
Vater hatte mich geschlagen. Warum, das konnte ich ihr unmöglich sagen. Eine
Prügelei, ein Streit, sie verstand meine Geschichte nicht. Später hat auch sie
mich gefragt: »Warum? Warum hast du mir an diesem Abend nicht alles erzählt?
Ich hätte dir geholfen.«
Scheiße. Was weiß denn ich. Ich hatte
mir angewöhnt zu sagen, ich sei unglücklich, weil meine Eltern sich nicht
verstünden. Das ließ keine der persönlichen Fragen aufkommen, die man mir hätte
stellen können.
Bruno war zurückgekehrt. An diesem
Wochenende hatte ich meine Ruhe. Mehr wagte ich nicht zu hoffen. In der übrigen
Zeit ging mein Vater mir auf die Nerven, so war das halt. Eine Gewohnheit.
Dienstag- und Freitagabend grauenhaft, verliebtes Wochenende. Es gab zwei
Nathalies. Eine abgebrühte, verzweifelte. Die andere voller Hoffnung.
Valérie sprach von ihrem Abitur, sie
wollte es schaffen, mir war’s immer noch egal, obwohl ich vorgab, ich wollte
Rechtsanwältin werden, Jura studieren. Auch in diesem Punkt gab es zwei
Nathalies: eine, die nichts für die Schule tat, und eine zweite, die sich
Witwen und Waisen verteidigen sah.
Ich war sechzehn, zwei Männer teilten
sich meinen Körper, es mußte zur Katastrophe kommen.
11
In der Dunkelheit des Zimmers sieht
Bruno mich an, er sucht meine Augen, er ist unglücklich.
»Ich verstehe nicht... Du willst, daß
wir uns trennen? Nach drei Monaten sagst du, daß du verschnaufen willst... Was
soll das heißen ›verschnaufen‹? Möchtest du, daß wir uns nicht mehr
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