Ich weiss, dass du luegst
wenig zwiespältiger ist ein Pokerspiel, dessen Regeln bestimmte Täuschungsformen wie das Bluffen ausdrücklich billigen. In diese Kategorie gehört auch der Immobilienverkauf, bei dem niemand vom Verkäufer schon zu Verhandlungsbeginn erwarten sollte, den wahren Verkaufspreis zu erfahren. Wenn Feynman recht hat und die NASA-Oberen haben tatsächlich die Kommunikation verhindert und im Grunde gesagt: «Erzähl mir nichts», könnte dies den Sachverhalt der Mitteilung darstellen. Mulloy und vermutlich auch andere NASA-Mitarbeiter wussten also, dass schlechte oder heikle Nachrichten nicht an die Spitze weitergegeben wurden. Wenn das der Fall gewesen sein sollte, müsste Mulloy nicht unbedingt als Lügner dastehen, weil er seine Vorgesetzten nicht informierte, denn sie hatten den Betrug gebilligt und wussten, dass man ihnen nichts sagen würde. Demzufolge tragen die Vorgesetzten, denen nichts erzählt wurde, einen Teil der Verantwortung für die Katastrophe gemeinsam mit Mulloy, der ihnen nichts sagte. Die Vorgesetzten tragen die letzte Verantwortung nicht nur für die Startentscheidung, sondern auch für das Klima, das Mulloys Handeln bestimmte. Sie trugen zu den Umständen bei, die zu seinem Fehlurteil und zu dem Entschluss führten, sie nicht in die Entscheidung einzubeziehen.
Feynman registriert die Ähnlichkeiten zwischen der Situation bei der NASA und bei der Iran-Contra-Affäre. Dort ging es darum, wie Beamte der mittleren Ebene wie Poindexter dazu standen, Präsident Reagan ihre Aktivitäten zu berichten. In einer Atmosphäre, in der Untergebene glauben, man dürfe jenen Personen mit höchster Entscheidungsgewalt nichts von Dingen erzählen, für die sie die Schuld bekommen würden, und somit den Präsidenten entlasten, wird die Autorität der Regierung in Frage gestellt. Der ehemalige Präsident Harry Truman sagte ganz richtig: «Das wird hier entschieden.» Der Präsident oder der Konzernvorsitzende müssen kontrollieren, beurteilen, entscheiden und für ihre Entscheidungen auch verantwortlich sein. Andere Verfahren vorzuschlagen, mag kurzfristig von Vorteil sein, gefährdet allerdings jede hierarchische Organisation, bringt tickende Zeitbomben und eine Umgebung sanktionierten Betrugs hervor.
Der Richter Clarence Thomas und Professorin Anita Hill
Die reichlich widersprüchlichen Aussagen von Richter Clarence Thomas, Kandidat für das Amt eines Richters am Obersten Gerichtshof, und von Juraprofessorin Anita Hill im Herbst 1991 bieten ein paar ernüchternde Lektionen, was Lügen betrifft. Die dramatische, im Fernsehen übertragene Konfrontation begann nur wenige Tage vor der erwarteten Bestätigung des Kandidaten durch den Senat. Professor Hill sagte vor dem Rechtsausschuss des Senats aus, sie sei zwischen 1981 und 1982 Assistentin von Clarence Thomas gewesen - zunächst im Amt für Bürgerrechte im Erziehungsministerium und dann, als Thomas Chef der Equal Employment Opportunity Commission (Kommission für arbeitsrechtliche Gleichberechtigung) wurde, sei sie sexuell belästigt worden. «Er sprach über Dinge, die er in Pornofilmen gesehen habe, in denen Frauen es mit Tieren trieben, Gruppensex vorkam und Frauen vergewaltigt wurden. Er sprach über pornographisches Material, das Männer mit Riesenpenissen und Frauen mit großen Brüsten zeigte, die in allen möglichen Stellungen Verkehr hatten. Bei mehreren Gelegenheiten schilderte Thomas mir anschaulich seine eigenen sexuellen Vorzüge. Er sagte, falls ich jemals anderen davon erzählte, würde das seine Karriere ruinieren.» Sie sprach absolut ruhig, wirkte konsequent und auf viele Beobachter sehr überzeugend.
Unmittelbar nach ihrem Auftritt leugnete Richter Thomas alle Vorwürfe. «Ich habe die Dinge, die Anita Hill behauptet, weder gesagt noch getan.» Im Anschluss an Hills Aussage meldete sich Thomas zu Wort: «Ich möchte gleich zu Beginn eindeutig feststellen, dass ich jede einzelne Beschuldigung bestreite, die heute gegen mich erhoben wurde.» Selbstgerecht und wütend auf das Komitee, das sein Ansehen schädige, behauptete Thomas, er sei das Opfer eines rassistisch motivierten Angriffs. Dann fuhr er fort: «Ich kann die Anschuldigungen nicht abschütteln, weil sie den schlimmsten Klischees entsprechen, die über schwarze Männer in diesem Land in Umlauf sind.» Dann beschwerte er sich über die Tortur, die ihm der Senat zumutete, und sagte: «Ich würde die Kugel eines Attentäters dieser Hölle auf Erden vorziehen.» Die Anhörung sei «eine
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