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Ich weiss, dass du luegst

Ich weiss, dass du luegst

Titel: Ich weiss, dass du luegst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Ekman
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Hightech-Lynchjustiz gegen dreiste Schwarze».
    Die Balkenüberschrift des Nachrichtenmagazins Time lautete in jener Woche: «Unter den Augen der Nation präsentieren zwei glaubwürdige und redegewandte Zeugen unvereinbare Ansichten über Ereignisse, die vor fast einem Jahrzehnt stattgefunden haben sollen.» Die Kolumnistin Nancy Gibbs schrieb in demselben Blatt: «Wer könnte selbst nach all den gequälten Aussagen noch sicher sein, dass sich alles wirklich so zugetragen hat? Wer von beiden erzählt Lügen in epischen Ausmaßen?» Betrachten wir das Verhalten von Hill und Thomas während ihrer Aussagen, ohne auf Thomas' Aussagen gegenüber dem Komitee vor der Angelegenheit mit Anita Hill einzugehen, den Berufsweg der beiden zu berücksichtigen oder die Aussagen anderer Zeugen über die beiden zu Rate zu ziehen. Allein die Betrachtung ihrer Verhaltensweisen ergibt keine neuen oder besonderen Informationen. Es ist lediglich das zu registrieren, was schon für die Presse offensichtlich war: Beide sprachen und verhielten sich ziemlich überzeugend. Aber es lassen sich Lehren aus diesem Zusammenwirken von Lügen und Verhalten ziehen.
    Beiden wäre es nicht leichtgefallen, vorsätzlich vor der ganzen Nation zu lügen, denn für beide stand enorm viel auf dem Spiel. Man stelle sich vor, was dabei herausgekommen wäre, falls beide so gehandelt hätten, dass sie zutreffend oder irrtümlich von den Medien und von der amerikanischen Öffentlichkeit als Lügner angesehen worden wären, was nicht eintrat. Beide wirkten so, als meinten sie, was sie sagten.
    Angenommen, Hill sei ehrlich und Thomas sei entschlossen gewesen, vorsätzlich zu lügen. Dem zweiten Kapitel dieses Buches zufolge wäre die beste Möglichkeit, die Angst vorm Ertapptwerden zu verbergen, gewesen, den Anschein einer anderen Emotion zu wecken. In dem Beispiel aus John Updikes Roman Heirate mich narrt die treulose Ehefrau Ruth ihren misstrauischen Ehemann (siehe Seite 43 f.). Sie täuschte vor, verärgert zu sein, und brachte ihn in die Defensive. So musste er sich dafür rechtfertigen, warum er ihr nicht glaubte. Genau das tat Clarence Thomas. Er war sehr verärgert, nicht auf Anita Hill, sondern auf den Senat. So hatte er den zusätzlichen Nutzen, die Sympathien derjenigen zu gewinnen, die von vornherein nicht gut auf Politiker zu sprechen sind. Außerdem konnte er sich in der Rolle Davids gegen Goliath profilieren.
    Genau wie Thomas mit einem Angriff auf Hill Sympathien verloren hätte, wären die Senatoren schlecht beraten gewesen, anschließend ihrerseits Thomas anzugreifen, einen Schwarzen, der sagte, er werde wegen seiner Aufmüpfigkeit gelyncht. Hätte er also vorgehabt zu lügen, wäre es auch sinnvoll für ihn gewesen, sich Anita Hills Aussage nicht anzusehen, damit ihn die Senatoren dazu nicht einfach befragen konnten.
    Während diese Argumentation denen gefallen sollte, die Thomas vor der Anhörung ablehnten, ist das noch kein Beweis dafür, dass er log. Er hätte den Senatsausschuss genauso gut angegriffen haben können, wenn er die Wahrheit gesagt hätte. Falls Hill die Lügnerin wäre, hätte Thomas allen Grund gehabt, wütend auf den Senat zu sein, ihren Geschichten im allerletzten Moment ein öffentliches Forum gegeben zu haben, gerade als es so aussah, als hätten seine politischen Gegner es aufgegeben, seine Nominierung zu verhindern. Wäre Hill die Lügnerin, hätte Thomas so erbost und wütend gewesen sein können, dass er es nicht ertragen hätte, sich ihre Aussagen im Fernsehen anzusehen.
    Könnte Anita Hill gelogen haben? Das ist unwahrscheinlich, denn wäre sie die Lügnerin gewesen, hätte sie Angst haben müssen, dass man ihr nicht glaubt, und es gab kein Zeichen für diese Angst. Kühl, entspannt und zurückhaltend machte sie ihre Aussage und zeigte dabei kaum Emotionen. Aber die Abwesenheit von Verhaltenshinweisen auf Täuschungen bedeutet ja nicht, dass die Person ehrlich sein muss. Anita Hill hatte Zeit, ihre Geschichte vorzubereiten und einzustudieren. Es ist zwar möglich, dass ihr dies überzeugend gelang, aber sehr wahrscheinlich ist es nicht.
    Obwohl es wahrscheinlicher ist, dass Thomas der Lügner ist, gibt es noch eine dritte Möglichkeit, die am realistischsten ist. Keiner von beiden sagte die Wahrheit, und dennoch hat vielleicht niemand gelogen. Nehmen wir an, es ist etwas passiert, zwar nicht so viel, wie Professor Hill behauptete, aber mehr als Richter Thomas zugab. Würden ihre Übertreibung und seine Leugnung ständig

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