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Ich weiss, dass du luegst

Ich weiss, dass du luegst

Titel: Ich weiss, dass du luegst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Ekman
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Patienten ein Placebo zu geben, ein Zuckerdragee, das als wirksames Medikament empfohlen wird, ist ein altehrwürdiger medizinischer Betrug. Viele Ärzte halten eine solche Lüge für gerechtfertigt, solange der Patient sich besser fühlt oder den Arzt zumindest nicht mehr mit der Bitte um ein unnötiges Medikament nervt, das in Wirklichkeit schädlich sein kann. Der hippokratische Eid verlangt keine Ehrlichkeit gegenüber dem Patienten. Der Arzt soll tun, was dem Patienten hilft.| d Wenn der Priester von der Polizei gefragt wird, ob er etwas über ein bestimmtes Verbrechen weiß, und er die Beichte des Täters verschweigt, sollte er sich nicht schuldig fühlen. Seine Eide rechtfertigen den Betrug. Und nicht er profitiert davon, sondern der Kriminelle, dessen Identität verborgen bleibt. Die Krankenpflegeschülerinnen in meinem Experiment hatten kein Schuldbewusstsein für Betrug, als sie ihre Gefühle verbargen. Ich hatte ihnen schließlich Beispiele gegeben, um zu erklären, wann eine Krankenschwester etwas verheimlichen muss, um das Leiden eines Patienten zu lindern - und darin wurde Betrug ausdrücklich gebilligt.
    Lügner wollen vielleicht nicht zugeben, dass auch sie häufig von Täuschungen profitieren, die als altruistisch dargestellt werden. Der Vizepräsident einer großen Versicherungsgesellschaft hat erklärt, dass die Wahrheit verletzend wirken kann, sobald das Ego einer anderen Person betroffen ist - «Manchmal fällt es schwer, einem Mann zu sagen, nein, Sie werden niemals Vorsitzender werden.»| 11 Die Gefühle des Mannes werden verschont, genauso aber auch die Gefühle des Vizepräsidenten. Es mag heikel sein, mit der Enttäuschung des Mannes umzugehen, ganz zu schweigen von dem möglichen Protest, vor allem wenn der Mann den Vizepräsidenten für die negative Beurteilung seiner Person verantwortlich macht. Die Lüge schont beide. Es ließe sich natürlich argumentieren, dass der Mann durch die Lüge geschädigt wird, insofern man ihm Informationen vorenthält, die, auch wenn sie unangenehm sind, ihn dazu veranlassen könnten, seine Leistungen zu verbessern oder woanders eine Beschäftigung zu suchen. Auf ähnliche Weise ließe sich argumentieren, dass der Placebos verteilende Arzt, obwohl er aus altruistischen Motiven handelt, ebenfalls von der Lüge profitiert. Er muss nicht mehr mit der Frustration oder Enttäuschung des Patienten umgehen, dass es keine Medizin für dessen Krankheit gibt. Er bekommt auch nicht die Wut des Patienten zu spüren, wenn der bemerkt, dass der Arzt ihm Placebos gibt, weil er ihn für einen Hypochonder hält. Auch hier lässt sich wieder darüber streiten, ob der Patient eigentlich von der Lüge profitiert oder ob sie ihm schadet.
    Dennoch gibt es tatsächlich vollkommen altruistische Lügen - der Priester, der die Beichte eines Kriminellen verschweigt, die Retter, die dem verletzten elfjährigen Jungen nicht erzählen, dass seine Eltern beim Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sind - Lügen, bei denen der Lügner nicht von seiner Lüge profitiert. Glaubt ein Lügner, er selbst habe keinen Vorteil davon, wird er wahrscheinlich auch kein Schuldbewusstsein für den Betrug empfinden.
    Sogar selbstsüchtig motivierte Täuschungen lösen womöglich kein Schuldbewusstsein für den Betrug aus, wenn die Lüge legitimiert ist. Pokerspieler empfinden kein Schuldbewusstsein, wenn sie bluffen. Dasselbe trifft aufs Feilschen zu, sei es auf einem orientalischen Basar, auf der Wall Street oder im Büro des ortsansässigen Grundstückmaklers. In einem Artikel über Lügen in der Wirtschaft heißt es: «Die vielleicht geläufigste Lüge überhaupt lautet: Eine solche Sprache wird in der Geschäftswelt nicht nur akzeptiert, sondern man rechnet dort damit. Bei Preisverhandlungen wird von niemandem erwartet, dass er von Anfang an all seine Karten auf den Tisch legt.»| 12 Der Hauseigentümer, der zunächst einen höheren Kaufpreis für sein Haus verlangt als denjenigen, den er tatsächlich akzeptieren wird, fühlt sich nicht schuldig, wenn er den verlangten Betrag auch erhält. Seine Lüge ist legitim. Feilschen und Poker werden nicht unter Lügen verbucht, weil die Teilnehmer nicht die Wahrheit, sondern falsche Informationen erwarten. In solchen Situationen erwartet von vornherein niemand, dass es ehrlich zugehen wird. Nur ein Narr zeigt beim Poker sein Blatt oder gibt den niedrigsten Preis an, den er zu akzeptieren bereit ist, wenn er zum ersten Mal sein

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