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Ich weiss, dass du luegst

Ich weiss, dass du luegst

Titel: Ich weiss, dass du luegst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Ekman
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eine Erfahrung, sondern eine ganze Familie von Erfahrungen. Wut tritt in den folgenden Varianten auf:

Intensität, von Verärgerung bis zur Tobsucht;
wie sie unter Kontrolle ist, mehr oder minder kontrolliert;
wie lange es dauert, bis sie einsetzt (Einsatzzeitpunkt), vom Kurzschluss bis zum Schwelen;
wie lange es dauert, bis sie endet (Beendigungszeitpunkt), von rasch bis nachklingend;
Temperatur, von heiß bis kalt; 
Echtheit, von realer bis zu geheuchelter Wut, die ein amüsierter Elternteil einem unartigen, aber bezaubernden Kind gegenüber zeigt.
    Fügt man den Wutmischungen andere Emotionen hinzu - etwa unterhaltsame, schuldbehaftete, selbstgerechte oder verachtende Wut -, lässt sich diese Reihe noch fortsetzen.
    Es besteht keine Klarheit darüber, ob es unterschiedliche Gesichtszüge für jede dieser Wuterfahrungen gibt. Ich glaube, dass dies der Fall ist, und vermute noch weitere Varianten. Wir haben bereits Beweise vorliegen, dass es mehr verschiedene Gesichtsausdrücke gibt, als einzelne Worte für jede beliebige Emotion existieren. Das Gesicht signalisiert Nuancen und Feinheiten, die die Sprache nicht in einzelnen Begriffen vermitteln kann. Wir haben erst 1978 damit begonnen, das Repertoire der Gesichtszüge aufzuzeichnen und genau festzulegen, wie viele Ausdrucksformen es für jede Emotion gibt, welche als Synonyme durchgehen und welche andere, miteinander verbundene, innere Zustände signalisieren. Manches von dem, was ich über Täuschungshinweise in Gesichtszügen beschreibe, beruht auf systematischen Studien mittels unserer Gesichtsvermessungstechnik, während andere Ergebnisse auf vielen tausend Stunden, in denen Mimik untersucht worden ist, beruhen. Das hier Dargestellte kann nur vorläufig sein, weil bisher kein anderer Wissenschaftler versucht hat, unsere Studien über die Unterschiede zwischen willkürlichen und unwillkürlichen Ausdrucksformen zu wiederholen.
    Fangen wir mit einer wichtigen Art Leck an, die in Gesichtszügen erkennbar ist, den Mikroexpressionen. Diese Ausdrücke liefern ein vollständiges Bild der verheimlichten Emotion. Sie sind jedoch so schnell wieder verschwunden, dass man sie normalerweise nicht wahrnimmt. Eine Mikroexpression blitzt in weniger als einer Viertelsekunde im Gesicht auf. Wir entdeckten Mikroexpressionen in unserer ersten Studie über Täuschungshinweise in den 1980er Jahren, als wir ein gefilmtes Interview mit der Psychiatriepatientin Mary analysierten, die bereits im ersten Kapitel erwähnt wurde. Sie versuchte, ihren Plan zu verheimlichen, Selbstmord zu begehen. In dem Film, der nach einigen Wochen ihres Aufenthalts in der Klinik aufgenommen worden war, erzählt sie dem Arzt, sie leide nicht mehr unter Depressionen und bitte daher um eine Ausgangserlaubnis, um das Wochenende zu Hause bei ihrer Familie verbringen zu dürfen. Später gesteht sie, sie habe gelogen, um Suizid begehen zu können, sobald sie nicht mehr unter klinischer Beobachtung stünde. Sie gibt zu, noch immer verzweifelt und unglücklich zu sein.
    Bei Mary traten einige Male unvollständiges Achselzucken -emblematische Ausrutscher - und ein Nachlassen der Illustratoren-Bewegungen auf. Außerdem beobachteten wir eine Mikroexpression. Als wir nämlich das Video in Zeitlupe abspielten, entdeckten wir einen vollständigen Gesichtsausdruck der Traurigkeit, der allerdings nur für einen winzigen Augenblick zu sehen war, worauf schnell ein Lächeln in Erscheinung trat. Mikroexpressionen sind en face zu beobachtende Gesichtszüge, die zeitlich komprimiert sind und nur einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Dauer anhalten, sodass man sie normalerweise nicht sieht. Abbildung 2 (siehe Seite 171) zeigt diesen traurigen Ausdruck. Aufgrund des Fotos ist er leicht zu deuten. Als Mikroexpression sieht man ihn allerdings nur eine Viertelsekunde lang, bevor er unmittelbar von einem anderen Ausdruck abgelöst wird, sodass man ihn höchstwahrscheinlich übersehen würde. Bald nachdem wir die Mikroexpressionen entdeckten, bestätigten auch andere Forscher die Existenz von Mikros und äußerten die Vermutung, sie seien das Ergebnis von Verdrängung, was auf unbewusste Emotionen schließen lasse.| 5 Für Mary waren die Gefühle mit Sicherheit nicht unbewusst; sie war sich der Traurigkeit schmerzhaft bewusst, die sich in ihren Mikroexpressionen gezeigt hatte.
    Wir zeigten Probanden die Ausschnitte aus dem Interview mit Mary, die die Mikroexpressionen enthielten, und baten sie, Marys Gefühle einzuschätzen.

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