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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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nervös, auch Luc Bondy, der Chef der Wiener Festwochen, der sich irgendwann einen Ruck gab und sagte: »Komm, wir ziehen das jetzt durch, wir lassen uns direkt einen Termin bei dem Verwaltungsmenschen geben, der da zuständig ist.« Der hieß Schmitz, saß im Stadtrat und war Vorsteher des 1. Wiener Gemeindebezirks. Er und sein Assistent empfingen uns in seinem Büro, zwar mit Handschlag, aber mit total skeptischem Blick. Dann setzte sich Schmitz an seinen Schreibtisch, starrte auf seine Pläne und murmelte vor sich hin: »No, das geht net, no, des auch net.« Irgendwann zündete er sich in einem unglaublich langsamen Vorgang seine Pfeife an und ließ sich vom Assistenten Geodreieck und Lineal bringen. Damit beugte er sich über seine Blätter, markierte mit Bleistift eine Linie, dann zog er an seiner Pfeife, dann zog er wieder eine Linie, das Lineal wanderte erst nach links, dann nach rechts, immer hin und her: »Joooa, naaa, des mache ma net … jooa, naa, des auch net.« Stundenlang ging das so, Luc Bondy saß da wie ein unruhiges Kind, das gerne Fußball spielen gehen würde, aber nicht kann, weil das Trikot dreckig ist und die Eltern sich nicht über den Kauf einer Waschmaschine einigen können. Mir ging’s ähnlich. Dann sagte Schmitz plötzlich: »Des kömma vergessen, do nich, do nich! Aber do!!!« Wir beugten uns über die Pläne und zuckten innerlich zusammen, weil wir dachten, das kann ja nicht sein, dass der Mann diesen Platz vorschlägt, der ist ja noch viel besser als der am Sacher. Wir schauten uns kurz an und dann fing ich an: »Ja, Luc, mmmh, da also, weiter vorne, direkt an der Oper, mmmhhh – wenn gar nix anderes geht …« Dabei konnten wir unser Glück kaum fassen. Als wir aus dem Gebäude gingen, spielten wir erst mal noch die Bedröppelten – aber als wir dann um die Ecke bogen, sind wir wie die Kinder vor Freude aneinander hochgesprungen.
    Ich weiß bis heute nicht, warum das damals geklappt hat. Inzwischen glaube ich fast, dass der Gemeindebezirksvorsteher Schmitz klammheimlich auf unserer Seite war und uns in seinem Büro eine geniale Theatervorstellung geboten hat. Der wollte, dass wir die größtmögliche Aufmerksamkeit kriegen, dass das Ding funktioniert – auch wenn er sich später in Interviews immer wieder abschätzig geäußert hat. Denn die Aufregung, die sich im Laufe der sechs Tage entwickelte, konnte ja vor allem deshalb so groß werden, weil der Platz für den Container der helle Wahnsinn war.
    Die ersten zwei Tage passierte eigentlich gar nichts. Das Ganze wirkte ein bisschen wie abgestandenes Essen. Aber durch die Penetranz der Menschen, die sich vor dem Container versammelten und schimpften und diskutierten, kam immer mehr Energie in die Sache, und sie fing langsam an, sich selbst zu tragen. Erst war es ein langweiliges, unbewegliches Bild an der Wand. Dann ist aus dem Bild ein immer stärker wuchernder Hefeteig geworden, der sich so dermaßen unter die Menschen schob, dass niemand mehr umfallen konnte. Man war mittendrin, jeder, der am Set war, stand plötzlich im Film, nicht in dem Film von mir und oder von Luc Bondy, sondern in seinem eigenen Film. Ich glaube, wir haben damals etwas erzeugt, das sich so verselbstständigt hat, wie es normalerweise nur ein Virus im Körper macht. Irgendwann ließen die Festwochen sogar Schilder mit der Aufschrift, das Ganze sei eine Kunstaktion, aufstellen. Die wollten Klarheit schaffen, die konnten so einen Tumult nicht aushalten.
    Solche Schnittstellen zwischen Realität und Fiktion, zwischen Leben und Kunst habe ich wohl ziemlich häufig berührt, nicht nur während dieser Woche in Wien. Habe gedacht, ich bin in der Realität, musste aber erkennen, dass um mich herum die Situation niemand ernst genommen hat. Oder ich selbst hab die Situation nicht ernst genommen und plötzlich gemerkt, wie ernst und bitter sie ist. Solche Kippmomente habe ich oft erlebt. Vielleicht auch zu oft. Denn das, was ich da angezettelt hatte, war ja nicht nur für die anderen unklar und widersprüchlich. Auch ich wusste oft nicht, was gerade los ist, auf welcher Seite der Grenzlinie ich mich gerade befinde. Und tief in meinem Innern habe ich mich schon manchmal nach Klarheit gesehnt, war unglücklich über die Totalverwirrung, die ich da gestiftet habe. Weil ich mich dabei selbst verloren habe, weil ich nicht selten selbst in der Totalverwirrung gelandet bin.
    Die Schilder der Festwochen haben wir damals natürlich trotzdem sofort wieder abbauen lassen. Denn

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