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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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das Ding lebte ja von der Unsicherheit, ob das jetzt Kunst oder Leben, Inszenierung oder Wahrheit ist. Wichtig war zum Beispiel, dass da diese Touristenbusse an der Oper ankamen und japanische Touristen plötzlich sahen: »Ausländer raus!« Da haben die natürlich gedacht, was ist jetzt in Wien los? Diese schöne Stadt, alles ist mit Mozartkugeln gefüllt, und jetzt plötzlich so was. Was ist denn da passiert?
    Diese Momente der Spiegelung, das heißt, in eine Situation reinzukommen, die nicht stimmt, in der die Bilder, die ich im Kopf habe, nicht übereinstimmen mit dem, was ich in der Realität sehe – darum ging es ja. Einen Spiegel aufzustellen, bei dem nicht klar ist, wer hier eigentlich wen beobachtet. Die »Kronenzeitung« mich oder ich die »Kronenzeitung«? Eine Situation zu schaffen, bei der jemand plötzlich unfreiwillig Bestandteil eines Bildes wird, so wie eben die »Kronenzeitung«, weil wir ja behauptet haben, es handele sich um ein Projekt der »Kronenzeitung«, und den Container mit ihren volksverhetzenden Artikeln und Headlines beklebt hatten. Da waren sie natürlich in der Zange: Wie sollten sie das Ding abschalten? Dann hätten sie sich und ihre Sprüche ja selbst abschalten müssen. Genauso die ÖVP/FPÖ-Regierung, die ich im Laufe der Zeit immer stärker attackiert habe: »Eure Regierung lässt es zu, dass seit Tagen hier mitten in Wien ein Schild mit der Aufschrift ›Ausländer raus‹ hängt. Was ist denn das für ein Land hier? Was habt ihr denn für eine unglaubliche Regierung hier? Wieso kommen die nicht und reißen das Ding ab?«, habe ich den Leuten mit meinem Megafon zugerufen.
    Stattdessen sind dann die Studenten losmarschiert. Am vierten Tag kam eine Gruppe an und hat versucht, das Schild »Ausländer raus« vom Containerdach zu holen und die Asylbewerber zu befreien. Da dachte ich: Was ist das jetzt für ein Film? Da hat doch jemand die komplett falsche Spule eingelegt. Die Indianer stürmen, die Asylanten flüchten – und das Ding ist beendet? Wir hatten kurz darüber nachgedacht, aber das wäre ein Riesenfehler gewesen. Ich wollte dieser sich selbst täuschenden Demonstrationsgesellschaft nicht das Schlussbild erlauben. Und die Wiener wollten auch nicht, dass die Sache auf diese Weise beendet wird: Ich weiß noch, am nächsten Morgen war ich total fertig, innerlich völlig ausgetrocknet, hab mich irgendwie vor die Oper geschleppt – aber dann war da schon wieder die Hölle los, Hunderte von Leuten standen da und diskutierten weiter wie die Irren. Das war eben auch der Suchtfaktor dieses schnellen Brüters, der sich nicht abschalten lassen wollte. Also haben wir weitergemacht, die Asylbewerber zogen wieder ein und das mit irgendwelchen albernen Widerstandsparolen übermalte »Ausländer raus« wurde wieder sichtbar gemacht.
    Für diese Widerstandskämpfer – die brüllten während ihres Auftritts wirklich dauernd »Widerstand! Widerstand!« – hatte ich ganz wenig Verständnis, auch wenn manche echt liebenswürdig waren. Freiheit für die Asylanten? Was sollte das denn heißen? Als die aus dem Container kamen, war da draußen ja keine Freiheit. Die haben sich doch im komplett falschen Bild aufgehalten. Und daher war das Stürmen unserer Containerburg auch so komisch, weil die Idee, etwas Gutes zu tun, das Schild herunterzureißen und Asylbewerber zu befreien, nur dazu geführt hat, dass die Demonstranten die Drecksarbeit erledigten, die eigentlich die Regierung hätte machen sollen. Sie wurden zur Waschmaschine für ihren miesen, dreckigen Staat, weil sie sich unfreiwillig für ihn, der sich eben nicht selbst sauber machen wollte, eingesetzt hatten. Denn die Regierung hätte ja nur kommen müssen und das Schild abnehmen, dann wäre alles erledigt gewesen. Wir hatten auch Haider eingeladen, uns zu besuchen, mit uns zu reden, aber er hat natürlich gekniffen, wahrscheinlich, weil endlich mal Waffengleichheit herrschte. Die Nachricht für die Welt wäre jedenfalls gewesen: Die Regierung Österreichs reißt das Schild »Ausländer raus« runter und bürgert die Asylbewerber aus dem Container ein. Aber den Gefallen wollten sie uns nicht tun, weil sie damit ja ihre eigene Geschäftsgrundlage aufgekündigt hätten. Also mussten sie ihr Nichteinschreiten wohl oder übel vor sich selbst damit begründen, dass das eben Kunst sei, obwohl sie nach außen ständig bellten, das sei keine Kunst. Sie mussten sich auf die Kunstfreiheit berufen, die sie am liebsten abgeschafft hätten.
    Es ist

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