Ich weiß, ich war's (German Edition)
komisch: Als ich heute in den Container reingegangen bin – es war, kurz bevor die Oper anfing und Horden von Menschen in ihren Anzügen dort hineinströmten –, habe ich eigentlich zum ersten Mal bei der Aktion hier Angst gehabt. Das ist wahrscheinlich die Veränderung, die stattfindet, wenn man bald 40 wird. Wenn ich die Sache mit 20 gemacht hätte, hätte ich überhaupt nicht geschlafen vor Angst; mit 30 hätte ich mir irgendetwas darüber erzählt, um schlafen zu können – und jetzt, mit bald 40, schlafe ich. Aber sehr unruhig. Mit 50 werde ich dann vielleicht schlafen und – – ach, ich weiß auch nicht …
Am Sonntagnachmittag, kurz bevor es losging, habe ich noch gedacht, man bläst das jetzt ab, weil das Ding für einige Leute ja schon im Vorfeld sehr entlarvend abgelaufen ist. Denn es stellt sich ja die Frage: Was passiert mit den Asylbewerbern? Die haben ja wirklich alle mit schwebenden Verfahren zu tun – und jetzt sind sie plötzlich Schauspieler der Festwochen. Was geht in den Leuten vor? Was denken die, was jetzt passiert? Das fragt keiner da draußen. Es ist völlig eigenartig, dass keiner, auch keiner von den Journalisten, irgendeine Frage zu den Asylbewerbern stellt. Man hat sich damit abgefunden, dass das Schauspieler sind. Das ist aber eben nicht so.
Deshalb hab ich auch eine Inszenierung in irgendeinem klassischen Theaterraum abgelehnt. Ich konnte nicht einfach nach Wien kommen, auf die Bühne steigen, den Vorhang aufmachen, ein bisschen herumplärren und dann den Vorhang wieder zumachen. Das ist für mich in dieser Sache nicht möglich und deshalb findet jetzt eine Inszenierung statt, die ich nicht richtig leiten kann. Die ich aber auch deshalb so sehr liebe. Ich kann sie nicht führen, ich kann nicht hier stehen und sagen, um 14 Uhr oder abends um 21 Uhr kommt der Hauptdarsteller vorbei, der Revolutionär oder der FPÖler oder was weiß ich wer. Für mich ist es ganz wichtig, dass die Inszenierung draußen stattfindet. Da passiert mehr, was ich nicht beeinflussen kann. Und das, was ich nicht beeinflussen kann, interessiert mich seit der Partei am meisten. Weil: Da wollte ich beeinflussen, da wollte ich etwas erreichen und das ging nicht in Erfüllung, weil es wahrscheinlich völlig falsch gedacht war. Es gibt im Moment nichts, was man erreichen kann. Davon bin ich fest überzeugt. Man kann im Moment nichts erreichen – außer Überleben. Das ist das Einzige und das ist verdammt schwer. Weil alle auf Globalisierung abfahren, mit neuen Missionen und der Börse herumhantieren – und da sind wir dann eine Nummer, die glücklich ist, bei diesem Rechenspiel dabei sein zu dürfen. Das ist aber nicht das Glück, das ich suche. Und ich kenne ganz viele, denen es ähnlich geht. Die dieses Glück auch nicht wollen, was einem da angeboten wird.
Es ist alles superanstrengend hier, aber im Moment fasziniert mich vor allem, dass ich die Sache mit dem Internet ausprobieren kann. In fünf Jahren wird das selbstverständlich sein, aber die Kämpfe, die wir jetzt haben, mit Hackern und den ganzen Abwehrmaßnahmen – das ist der erste Schritt in eine Mobilität des Protests. Wir hängen ja alle noch ein bisschen an den Bildern der Sechzigerjahre, Wasserwerfer, Steinewerfer – aber das ist vorbei. Die neue Kultur von Widerstand wird gerade in der Anonymität trainiert. Das Internet ist eine Art Trainingscamp – und das beschleunigt mich im Augenblick sehr. Auch diese Chatseiten, dieses Sich-verstellen, sich eine Rolle, einen neuen Namen geben und jemand attackieren, vielleicht als Nazi, vielleicht als Linker – das ist die Wahrheit, die am Gären ist. Die Welt bekennt sich gerade dazu, dass sie eigentlich nichts anderes ist als Theater. Mit dem Nachteil, dass es im Theater nicht wehtut, im Leben aber schon – aber vielleicht kann man das ja auch noch abschaffen, dann haben wir eine ideale Welt …
Das ist eben das große Pro von Theater, von Fiktion: dass es sich Dinge erlauben kann, zum Beispiel auf der Bühne jemanden zu töten oder seinen Kopf zu fordern – ohne Konsequenzen. Ich war immer ein Gegner von diesem blöden griechischen Theater, aber, auch hier wieder: Je älter ich werde, desto mehr finde ich es toll, von Katharsis zu reden. Wenn ich eine gute Theaterinszenierung anschaue, genauso wie einen guten Film, dann denke ich inzwischen tatsächlich manchmal: Wie gut, dass der den umgebracht hat, dann brauch ich’s nicht mehr zu machen. Ich bin ja auch extrem pathetisch, ich bin
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