Ich weiß, ich war's (German Edition)
Doris Heinze war in meinen Augen die einzige Redakteurin – vielleicht mit drei anderen noch –, die immer wieder mal Produktionen gefördert hat, die etwas schräger lagen, die komisch waren. Warum wird gerade die jetzt so zerhackt? Ich meine, ich könnte Ihnen auch drei Namen beim WDR nennen. Oder beim BR, wo auch immer. Überall Redakteure, die irgendwelche Teppiche von Produzenten zu Hause rumliegen haben. Oder die auch schon mal auf den Fidschiinseln waren und keiner wusste, warum die sich das leisten konnten. Aber diese Doris Heinze ist plötzlich das Synonym für Bösartigkeit. Natürlich ist es nicht legal, wenn sie den Namen ihres Mannes gefälscht hat, damit keiner merkt, was familienklüngelmäßig los ist. Aber ich hab doch auch schon unter dem Pseudonym Günter Grass geschrieben. Das ist doch heutzutage sowieso gar keine Frage mehr. Wer schreibt denn wirklich noch unter seinem wahren Namen? Gut, vielleicht schreiben die Leute in den Zeitungen unter ihrem Namen, aber schreiben sie auch wirklich das, wovon sie überzeugt sind? Das bezweifle ich. Ich bezweifle, dass die Leute in den Zeitungen tatsächlich noch das schreiben, was sie sagen wollen. Ich glaube, dass es da solche Druckmechanismen gibt, Druck vom Chefredakteur, Druck von all den Besserwissern, die rumlaufen – bis man selbst nicht mehr weiß, was man eigentlich sagen wollte.
Oder man darf mal so ein bisschen wirr sein wie bei »nachtkritik.de«. Das ist eigentlich eine tolle Einrichtung, die ist klasse. Da werden Kritiker oder welche, die es werden wollen, losgeschickt, und nach der Vorstellung, während das Publikum noch klatscht, rasen die schon raus, hocken sich vor’s Theater, haben noch den Geruch der Schauspieler in der Nase und hacken ganz bildecht und authentisch in die Tasten rein, wie sie’s fanden. Und das heißt dann »nachtkritik.de«. Ist echt klasse. Aber mittlerweile haben die so Blogs eingerichtet – und deshalb kommen wir zum ersten Mal auf das Operndorf –, in denen zum Beispiel Esther Slevogt erzählt, dass ihr Großonkel sich früher mal von Negern durch den Busch hat tragen lassen und denen dabei Goethe vorgelesen hat. Das ist ihr eingefallen, als sie gelesen hat, dass ich von der Bundeskulturstiftung Geld bekomme für mein Afrika-Projekt. Und so steht dann da: »Im Busch – der Onkel auf der Sänfte«, von Esther Slevogt. Debatte eröffnet.
Okay, kein Problem. Ich schätze Esther Slevogt und sie hat natürlich recht. Ich hab ja selbst oft genug gesagt, dass ich immer bequemer Tourist bleiben werde. Aber dann kommt da ein Forum von 400, 500 Beiträgen zusammen, wo wildfremde Menschen unter dem Pseudonym Herr Neger, Herr Horror, Herr Terrorneger oder was weiß ich ihren Frust abladen. Aber so ist das nun mal: Irgendwer haut immer quer. Irgendwer weiß immer, dass der andere alles ganz falsch sieht. Irgendwer sieht irgendwelche Kategorien verrutscht und kann das deshalb so genau beurteilen, weil er der Inhaber seiner eigenen Kategorien ist. Aber am Schluss steht fast immer fest, dass »der« Schwarze bzw. die Pauschale »Afrika« sowieso nichts davon haben werden, wie wir alle bereits jetzt schon wissen. Ich hab doch selber schon so oft gesagt, dass ich Fehler gemacht habe in Afrika, gravierende Fehler, im Kern will ich doch dahin, um etwas zu lernen. Ich glaube, dass Afrika spirituell und kulturell extrem wichtig ist für unsere Zukunft hier in Europa. Wenn ich da jetzt nichts lerne, was soll ich denn dann demnächst machen, wenn wir uns alle hier nur noch selbst zitieren? Was sollen wir alle denn bloß machen, wenn uns in diesem abgeschlafften Kontinent nix Neues mehr einfällt?
Obwohl: Da hatte ja einer jetzt eine ganz tolle Idee, zumindest fürs Theater. Herr Kehlmann hat gesagt: Alle Klassiker nur noch einmal inszenieren, und zwar richtig geradeaus, so wie es da steht. Zum Beispiel Hamlet: Stuhl, Totenkopf, Ophelia im Wasser, gucken, sprechen, fertig. In die Box, Siegel drauf und ab durch Deutschland. Die Leute sehen überall dasselbe und können sich auch endlich über dasselbe unterhalten. Wunderbar. Da würde man den Kritikern auch einen Gefallen tun. Die müssen nicht mehr hektisch von hier nach da reisen, Flieger fast verpasst, schlechte Inszenierung, Sekt verschüttet – oder auch gute Inszenierung, die den Kritiker aber zu sehr an Wien oder Berlin oder was auch immer erinnert. Ich meine, da wird man ja verrückt. Man hat’s ausgerechnet: Statistisch gesehen muss ein Kritiker in einem gewöhnlichen
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