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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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sein können auf ihren Sohn. Und sie waren auch extrem lieb und haben immer wieder gesagt, ja, klar, verstehen wir, mach mal weiter, bleib bei deinen Sachen. Das war ihr größtes Ziel: dass ich nicht umkippe. Aber wirklich verstanden haben sie mich nicht. Wie auch? Das konnten sie einfach nicht.
    Was macht man da?
    Was hätte ich da bloß machen können?

»Dieses Gesellschaftssystem ist in sieben Jahren komplett zerstört«
    Dass ich damals von allen wirklich geliebt wurde – wahrscheinlich war das für mich auch deshalb sehr schwer zu glauben, weil ich ja selbst nicht vorhersehen konnte, was da passiert. Weil ich’s bei den Sachen, die ich gemacht habe, doch auch gar nicht in der Hand hatte. Schon die Möglichkeit mit dem Container ist durch Zufall entstanden. Auch bei dieser Sache in Bayreuth ist für mich bis heute unklar, wie das eigentlich zustande kam. Das hat sich ja nur entwickelt, weil irgendjemand in Bayreuth beim Warten durchgedreht ist. Was ja in Bayreuth öfters vorkommt. Und in Wien hat’s eben der Luc Bondy erlaubt, dann ging das einfach los, mit Matthias Lilienthal, meinem Dramaturgen damals, aber es hat sich wie gesagt die ersten zwei Tage überhaupt nicht entwickeln wollen. Nur durch den Aufruhr der Leute kam immer mehr Energie rein, und dann fing es eben an, sich selbst zu tragen. Das sind ja die Momente, die ich bei Künstlern wie Dieter Roth oder auch Beuys immer so toll fand. Wenn solche Aktionen dann abheben, weil die Leute ins Bild eintreten. Aber das Problem ist, dass diese Sachen nachher oft total verweichlicht werden. Dass man es nicht wirklich schafft, anderen die Energie weiterzureichen. Dass man nicht sagt, das ist eine Fläche, auf der durfte ich turnen, jetzt darfst du, jetzt mach du weiter, mit neuen Ideen, ich kann nicht mehr, ich komm gerne als Opa vorbei und gebe vielleicht noch den ein oder anderen Tipp.
    Dass das dann fast nie weitergeht, das finde ich so schade.
    Kunst war bei uns zu Hause kein Thema. Mit Bildern hatten meine Eltern nichts am Hut. Da wurde zur Dekoration das ein oder andere Landschaftsgemälde und Stillleben von der Galerie Mensing gekauft, Abstraktes ließ man gelten – aber insgesamt interessierte man sich in meiner Familie nicht für bildende Kunst. Ich hatte aber zwei Kunstlehrer, die mich beide ziemlich fasziniert und geprägt haben, ohne dass ich mir damals irgendeinen Gedanken darüber gemacht hätte, Künstler werden zu wollen. Ich wollte immer nur eins: Filmregisseur sein.
    Aber ich habe jemanden kennengelernt, der für mich wichtig wurde. Das war 1976, im Saalbau in Essen. Mein Vater war Mitglied im Lions Club, und die organisierten dort regelmäßig Veranstaltungen mit bekannten Persönlichkeiten. An einem dieser Abende hatten sie Joseph Beuys zu einem Vortrag eingeladen. Wahrscheinlich bekam er auch ein bisschen Geld dafür, damit er sich weiter sein Fett und seinen Filz kaufen konnte. Jedenfalls nahm mich mein Vater an diesem Abend mit. Da stand da vorne also so ein Mann mit Hut auf dem Kopf und faselte unglaubliches Zeugs, hat geredet und geredet von Gesellschaft, von Transformationen, zwei Stunden lang – ich habe kaum etwas verstanden, aber ich fand den Mann unglaublich faszinierend. Mein Vater und all die Herren, die da neben uns saßen, fielen in kollektiven Schlaf und dösten vor sich hin. Doch dann sagte Beuys plötzlich mit dem Brustton der Überzeugung den Satz: »Ich garantiere Ihnen, dass dieses Gesellschaftssystem in sieben Jahren komplett zerstört ist.« Und all die Mittelständler sind schlagartig wieder aufgewacht und bellten empört: »Ach, das geht doch nicht! So ein Quatsch! Sie spinnen!« Und gedacht haben sie: »Ziehen Sie erst mal den Hut ab, Herr Beuys« – diese Haltung hat man gespürt.
    Das hat mir damals ziemlich imponiert: dass da jemand mit einem einzigen Satz einen ganzen Saal mit dösenden Menschen in Aufruhr versetzen konnte, dass da eine Prognose, ein Gedanke die Leute zu einer Reaktion zwang. Vor ein paar Jahren, als mein Vater noch lebte, habe ich ihn mal gefragt: »Weißt du noch, dass der Beuys damals behauptet hat, unsere Gesellschaft sei in sieben Jahren am Ende?« »Klar weiß ich das noch«, antwortete er. »Ich habe mir das Datum sogar in meinem Kalender notiert, immer wieder übertragen und nachgeschaut, ob es wohl stimmt, was er gesagt hat: noch sieben Jahre, noch sechs Jahre, noch fünf Jahre … und dann ist es eben nicht eingetreten. Beuys lag falsch!« »Aber er hat dich sieben Jahre mit dem

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