Ich weiß, ich war's (German Edition)
haben. Erst war ich etwas perplex: »Was macht der dann da? Was ist da los?« Aber mir hat’s auch imponiert, wie er seinem Ärger Luft machte. Dann hab ich das Schild »Landesklinik« gesehen, mein Auto auf dem Parkplatz abgestellt und bin einfach spontan in die Klinik reingegangen. Das war ein echtes Horrorkabinett. Zimmer mit 12 bis 16 Mann Belegung, auf den Gängen schreiende, sich schlagende oder herumwippende Schwerbehinderte, dazwischen andere Patienten, die aussahen, als wären sie gerade aus einem brennenden Haus geflüchtet. Ich habe dann einen Professor gefunden und ihn direkt gefragt, ob es nicht Leute bei ihm gäbe, die mal Lust hätten, rauszukommen und bei uns im Film mitzuspielen. Er hat sich die Geschichte bzw. die Rollen schildern lassen und ließ dann zwei Männer holen: Achim von Paczensky und Frank Koch. Frank war Epileptiker, supergesprächig und lebte schon seit Ewigkeiten in der Klinik. Achim war sehr zurückhaltend und sprach kaum einen Satz. Die beiden hatten aber dasselbe Hobby: rauchen und Kaffee trinken. Und zwar nonstop. Also kamen sie gut miteinander aus, obwohl sie so verschieden waren. Die beiden spielten dann tatsächlich bei »Terror 2000« mit. Als Söhne der Leitung des Asylbewerberheims mussten sie die eingesperrten Insassen immer wieder ermahnen, nicht nur faul herumzuliegen. Ich habe damals sehr viel gelacht, weil ich bis dahin noch nie mit Leuten wie Achim oder Frank zu tun hatte.
Und da begann die Zeit, in der diese Leute immer öfter dabei waren, an die Volksbühne kamen, zu Freunden wurden, die mir immer eine große Ruhe gaben. Da kam der nächste Angriff: »Das ist menschenverachtend! Hier werden Behinderte ausgebeutet und erniedrigt!« Es war nicht zu fassen. Genau von den Leuten, die entweder noch nie in ihrem Leben mit Behinderten zu tun hatten oder immer auf diesem Belohnungslevel operieren: »Guck mal, die kleine Behinderte da, die kann zwar nicht sprechen und glotzt nur blöd rum, aber süß ist sie doch irgendwie, und so brav, hast du toll gemacht, fast so toll wie ich, du kleines Krüppelchen …« Wie ich so etwas hasse! Dieses Vergleichs- und Belohnungslevel ist es, das in Wahrheit erniedrigend ist.
Dabei habe ich im Laufe der Jahre immer mehr kennenlernen dürfen, wie viel Kraft diese Menschen haben, wenn man ihnen zutraut, aus sich selbst heraus etwas zu entwickeln. Wenn man nicht sagt »Mach mal wie …«, sondern sie ermuntert, mit ihrem Fehler, ihrem »Sprung in der Schüssel«, produktiv umzugehen. Sie besitzen eben eine ganz eigene Dimension, eine Dimension, die wir verloren haben, die aber eigentlich auch in uns allen lebt. Sie sind in ihrem eigenen System unterwegs, das nicht unbedingt unseres ist. Und das ist deshalb besonders genial, weil sie unser Regelsystem nicht etwa bekämpfen, sondern sich darin auch noch irgendwie zurechtfinden. Das ist natürlich nicht immer leicht, sondern eine Riesenleistung, die man einfach mal akzeptieren sollte. Mit ihrer Präsenz haben sie die Bühne immer sehr, sehr bevölkert. Wenn andere, »richtige« Schauspieler auf meine behinderten Freunde trafen, bekamen sie oft den Mund nicht mehr zu. Es gab sogar Schauspieler, die plötzlich auch so spielen wollten (vergeblich natürlich), weil sie merkten, dass mit den Behinderten eine Klarheit auf die Bühne kam, die sie bei ihrer eigenen Leidensschwitzerei vermissten. Hier meint es jemand so, wie er es sagt – das ist die Größe, die diese Menschen haben.
(1.1.2010, Schlingenblog auf www.schlingensief.com )
Eine Sache von früher finde ich noch erzählenswert, nämlich wie man etwas durchsetzt in den Köpfen der Leute. Und zwar gab es, als wir den Wien-Container machen wollten, vorher eine kleine Inszenierung von mir im Schauspielhaus in Graz, bei der auch Asylbewerber mitgemacht haben. Mit denen habe ich auf den Proben einen Satz geübt. Und zwar den Satz: »Tötet Wolfgang Schüssel.« Das war natürlich ein klarer Fall von Eigenplagiat. Aber Haider und solche Leute behaupten ja immer, dass die Ausländer unsere Sprache nicht können und daher nicht hier reinpassen. Also habe ich angekündigt, dass ich mit den Asylbewerbern zumindest schon mal den Namen des österreichischen Bundeskanzlers und einen kraftvollen österreichischen Satz trainieren würde, damit sie ein bisschen besser reinpassen.
Und dann kam der große Abend, der Mordaufruf hatte sich natürlich rumgesprochen, der halbe Saal war voll mit der Stapo. (So hieß das damals wirklich noch in Österreich,
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