Ich weiß, ich war's (German Edition)
Gedanken beschäftigt, dass eine Veränderung kommen könnte«, entgegnete ich. »Er hat eigentlich nur die Ungewissheit, die Angst in dir selbst ausgesprochen, dass auch du damit rechnest, dass es anders werden könnte.« Und mein Vater sagte: »Ja, das stimmt!« Da habe ich erst begriffen, dass dieser Auftritt von Beuys im Grunde ein großartiges Kunstwerk war, weil er die Leute, zumindest meinen Vater, in Bewegung gesetzt hat, über das Leben nachzudenken und ihren Ängsten zu begegnen.
(4.2.2010, Interview mit Klaus Biesenbach)
Durch die Situationen, dass sich Leute im falschen Bild aufhalten, haben wir auch immer wieder gemerkt: Der Raum überprüft uns und nicht wir den Raum. Als wir zum Beispiel damals bei der »Bahnhofsmission« hier in Hamburg rumzogen, sind wir zur Scientology-Zentrale gestürmt. Da waren wir mit 400 Mann unten im Keller drin und dachten, jetzt machen wir hier erst mal richtig Klar-Schiff, danach machen wir den Laden dicht und damit ist Scientology tot. So ungefähr hatten wir uns das vorgestellt. Das Einzige, was stattfand, war: Wir haben uns von denen einen fürchterlichen Film zeigen lassen, in dem die ihren Brachialentzug für Drogenabhängige anpreisen. Was wir gesagt haben, wurde von denen alles absorbiert. Irgendwann haben wir nur noch zugehört mit offenem Mund. Und sind nachher wie die Dackel von dannen gezogen, wie angepisste Pudel. Es war jämmerlich, richtig jämmerlich.
Die große Frage ist halt: Wo setzt man tatsächlich an? In der Auseinandersetzung über die politische Kultur, über das, was wir als Bürger tatsächlich machen können, ist ja schon so viel Resignation im Schiff, dass das längst auf der Seite liegt. Wir haben das Gefühl, alles, was wir anfangen könnten, wird nicht klappen, denn es geht sowieso keiner mit. Wenn wir’s trotzdem machen, wird man uns nachher sagen, ja, kenn ich schon, hab ich schon, danke. Das war ja schon früher so, dass dann die 68er kamen und sagten: Ja, ihr da mit dem brennenden Auto, bei uns waren das aber zwanzig brennende Autos, bei uns waren die auch richtig ausgebrannt. Bei euch kokelt ja gerade mal der Reifen, alles zu rational, alles zu billig, was ihr da macht. – So verändern sich eben die Zeiten. Und jeder versucht dem anderen eigentlich nur zu erklären, dass er es sowieso nicht packen kann.
Aber das ist nicht gut. Gar nicht gut. Zum Beispiel das Afrika-Ding: Da stelle ich mir vor, dass man öffentlich, vielleicht via Internet, daran Anteil nehmen kann, wie die anfangen, ihre Kultur zu archivieren. Das heißt nicht, dass wir da unten ankommen mit Theater, Symphonieorchester, Dirigent etc., laden das ab und sagen, so, bitte schön, jetzt will ich, dass ihr hier den Wagner lernt und dass wir dann nachher, so wie beim Behindertentheater, sagen, ja, hast du ganz toll gemacht, du bist ja fast schon ein kleiner Brandauer, toll. Und in Wirklichkeit hat der Mensch nur Lölö gesagt und ist umgefallen.
So was geht nicht. Der Behinderte hat eine ganz andere Qualität, er hat die Möglichkeit, mit metaphysischen Dingen zu arbeiten, aber er wird gezwungen, so zu sein wie Klaus Maria Brandauer. Das würde doch sogar ich noch nicht mal wollen. Wer möchte schon gerne Brandauer sein? Um Gottes willen! Ich hoffe doch, keiner!
Ich arbeite wahnsinnig gerne mit meinen behinderten Freunden zusammen. Weil sie eine Autonomie auf die Bühne bringen, die ich nicht beeinflussen kann. Weil sie Antennen auf dem Kopf haben, die bei uns schon längst abgeknickt sind, und auf ihre ganz eigene Weise genial sind. Zum Beispiel Mario Garzaner: Der schafft es, den Raum zum Leuchten zu bringen. Unsereins turnt da rum und hat mal, boing, ganz kurz Licht an. Aber die meiste Zeit ist alles dunkel. Nicht bei Mario. Da kann man machen, was man will, der schafft es, dass alles hell leuchtet, wenn er auftritt.
Angefangen hat die Zusammenarbeit mit diesen mir liebsten Schauspielern 1992, als ich auf dem ehemaligen DDR-Militärgelände Massow »Terror 2000« gedreht habe. Während einer Drehpause bin ich nach Teupitz gefahren, dem benachbarten Ort. Und sah zufällig, wie ein Downsyndrom-Junge mit seiner Einkaufstasche den Andenken- und Ramschstand eines Russen zusammenfaltete. Diese Händler traf man damals ja noch an jeder Ecke. Mittlerweile verkaufen sie ihre von nepalesischen Kindern hergestellten russischen Fellmützen, DDR-Abzeichen und Mauerreste nur noch am Berliner Dom. Der Downsyndrom-Junge muss sich damals irgendwie über diesen Russenramsch geärgert
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