Ich weiß, ich war's (German Edition)
Stapo, die Staatspolizei.) Die Staatsanwaltschaft war auch gleich mitgekommen, alles in heller Aufregung. Und als es losging – ich hatte so ein Trachtenjankerl wie der Haider an –, bin ich erst mal durch den Zuschauerraum nach vorne gelaufen und hab alle begrüßt: »Hallo. Guten Abend. Was haben Sie denn da für einen Block? Funktioniert Ihr Stift auch? Schreiben Sie wirklich alles auf? Bitte tun Sie das! Können Sie auch wirklich alles hören? Ist das gut für Sie hier? Prima.« – Und dann bin ich hoch auf die Bühne und hab mich a) erst einmal vor der Veranstaltung von der Veranstaltung distanziert. Das ist ganz wichtig. Dass Sie rausgehen und dass Sie dann sagen: »Meine Damen und Herren, das, was wir gleich sehen, entspricht nicht meinem Maßstab, das ist für meine Begriffe nicht korrekt, hier wird, habe ich gehört, zum Mord aufgerufen. Das ist wirklich das Allerletzte, dazu ist die Kunst nicht berufen, so geht es nicht. Ich verurteile das und distanziere mich hiermit öffentlich. Herzlichen Dank!« – Dann treten Sie zurück und gucken Sie, wie der da aufschreibt: »Regisseur distanziert sich von seinem Stück« … erste Irritationen. Und dann ging es b) los, der erste Asylbewerber trat auf und rief: »Tötö Schüsse!« Dann kam der nächste: »Tütet Wolfgang Schüttet!« Der dritte: »Tütü wo schüschü!« Der vierte: »Lötet olf ang üssel!« So ging das minutenlang, der Typ von der Staatsanwaltschaft und die Leute von der Stapo horchten immer wieder auf: Hä? Ha, jetzt! – Doch nicht! Scheiße!
Das war natürlich schwierig für den Kopf: Man hatte es doch gerade gehört, aber irgendwie haben sie es doch nicht gesagt. Wie kriegt man das jetzt zusammen? Das Interessante war, dass an dem Abend keiner den Satz richtig gesprochen hat, aber alle haben den Satz gehört. Am Ende herrschte totale Verzweiflung, die Leute wurden halb kirre beim Horchen, ja, da war’s, nee, ja doch, da, nee …
Dieser Moment ist total wichtig, weil einem dadurch niemand an den Karren kann. Das Verfahren gegen mich musste eingestellt werden. Aber das wirklich Tolle ist: Die wahren Transporteure und Archivare sind dann die Journalisten. Die schrieben alle so was wie: Anführungszeichen Tötet Wolfgang Schüssel Abführungszeichen, wurde wahrscheinlich gerufen, war aber nicht ganz zu verstehen. Oder: Anführungszeichen Tötet Wolfgang Schüssel Abführungszeichen dachte wohl die Staatspolizei, aber hören konnte man es nicht. – Es wurde permanent dieser Satz geschrieben. Überall stand er in Anführungszeichen als Beschreibung dieses Abends. Also wenn Sie das so machen, dann kriegen Sie natürlich genau das rüber, was Sie wollen. Ich meine, ich wollte ja nicht, dass jemand den Bundeskanzler umbringt, es ging ja immer um das System, für das er stand.
Auf jeden Fall sind Zeitungen perfekte Transporteure und Mitakteure. Und ich habe mich gefreut. Nicht weil mein Name da überall genannt wurde – das haben mir ja immer wieder bei solchen Aktionen die Leute unterstellt –, sondern weil es interessant war, wie sich durchs Zitieren noch mal die Perspektive verschiebt, natürlich auch, weil es ein erstes Zeichen dafür war, dass die Presse bei der Aktion in Wien mitspielen würde.
Authentisches Theater
Heute wurde Matthias Lilienthal 50 Jahre alt!
Als mein Vater 50 wurde, war ich ungefähr im selben Alter wie der Sohn von Matthias, der heute Abend mit seinen Freunden die Platten aufgelegt hat. Ich weiß noch, dass bei meinem Vater damals ein Drehorgelspieler im Wohnzimmer landete. Alle Freunde waren sehr laut und jeder frotzelte über jeden (diesen Ausdruck gibt es für mich seit damals). Ich habe nur sehr selten ein so schnelles Feuerwerk erlebt wie damals zwischen meinem Vater und seinen Freunden. Vielleicht noch mit Udo Kier. Dessen Begrüßung fing meist schon mit so einer Frotzelei an: »Na, du siehst ja noch besser aus als unser Dackel nach seiner letzten Darmkolik.« Antworten musste man dann ungefähr so: »Na ja, im Gegensatz zu frisch gefönten Pudeln merken Dackel das zumindest …« Mir kommt es so vor, als hätten wir solche Schnelligkeitsübungen mittlerweile verloren oder verlernt. Ich wüsste nicht, wer so etwas noch länger durchhält als zwei Minuten, am Geburtstag meines Vaters dauerte es in meiner Erinnerung mehrere Stunden. Vielleicht trauen wir uns auch nicht. Oder wir wissen einfach nicht mehr, wie man über Bande spielt.
Aber das will ich eigentlich gar nicht erzählen. Ich will erzählen, dass
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