Ich weiß, ich war's (German Edition)
ganz dringend sprechen. »Ich fliege aber nachher nach Venedig zur Biennale. Können Sie vielleicht dahin kommen?« Ich war immer noch total misstrauisch. »Ach, das ist schlecht«, meinte Katharina: »Wie wäre es, wenn ich gleich komme?«
Nach drei Stunden war sie da. Wir sind essen gegangen und nach einer halben Stunde rückte sie mit der Sache raus: »Im Namen meiner Eltern möchte ich Ihnen gerne den ›Parsifal‹ anbieten.« Mir blieb der Spargel im Hals stecken. Aber sie war durch nichts zu stoppen und holte gleich die Probenpläne raus. Am liebsten hätte sie wahrscheinlich an Ort und Stelle meine Zusage gehabt. Aber ich musste erst mal kapieren, was da jetzt überhaupt los ist.
Völlig durcheinander bin ich dann nach Venedig geflogen, konnte einfach kaum glauben, dass die das ernst meinen. Und was mache ich, wenn doch? Wenn da bei dem alten Herrn inzwischen tatsächlich der Wahnsinn ausgebrochen ist? Das ging immer so hin und her in meinem Kopf. Als ich auf dem Gelände der Biennale ankam, habe ich erst mal versucht, mich abzulenken: Komm, jetzt bleib mal ganz ruhig und schau erst mal, wo du hier deine Church of Fear aufbauen kannst und dein Pfahlsitzen organisierst. Sieben Leute aus sieben Ländern sollten eine Woche lang am Eingang des Biennale-Geländes auf zwei Meter hohen Pfählen in freiwilliger Askese ausharren. Die Idee war, einen öffentlichen Ort zu schaffen, der es möglich macht, seinen Ängsten zu begegnen, ohne dass diese von der Gesellschaft gleich schon wieder für irgendwelche Fremdzwecke verwertet werden. Wie diese frühchristlichen Säulenheiligen, die sich von der Gesellschaft entfernt haben, die in die Höhe umgezogen sind und damit aber doch im Zentrum waren. Einige sind auf ihren Säulen sogar gestorben. Das Tolle an diesen Leuten war, dass sie sich öffentlich von der Gesellschaft verabschiedet haben. Die sind nicht zu Hause in den Keller gegangen, haben sich nicht weggesperrt, nein, sie sind sichtbar geblieben. Und die anderen haben sich unten beim Heiligen verabredet, weil das der Ort war, den alle sehen konnten. Großer Treffpunkt beim Säulenheiligen also. Aber er selbst hat nicht mehr mitgeredet, er war ganz bei sich da oben.
Wie diese Faultiere im Amazonasbecken, die ich gesehen habe, als ich in Manaus war. Die hängen da in den Ästen rum, mit dem Rücken nach unten, und bewegen sich nur in Zeitlupe. Einmal in der Woche gehen sie zum Kacken runter – und unten wartet der Jaguar. Fragt sich: Warum macht das Faultier das? Bewegt sich kaum, am liebsten gar nicht, aber trotzdem geht es runter, wenn es scheißen muss. Weil es höflich ist? Weil es denkt, ich gehe lieber runter und mache da mein Häufchen, sonst scheiße ich vielleicht jemandem auf den Kopf? Ich glaube ja eher, das Faultier geht runter, weil es ab und zu dem begegnen muss, was ihm Angst macht, um lebendig zu bleiben.
Auf jeden Fall stand ich damals auf dem Biennale-Gelände rum, immer noch ziemlich durcheinander durch die Bayreuth-Sache – da kam der zweite Wahnsinnsanruf des Tages. Diesmal war’s meine Mutter, die am Telefon war: »Christoph, der Möllemann ist vom Himmel gefallen. Sag nichts, wenn die Polizei anruft!« Dann legte sie auf.
Was war das jetzt? Ich war eh schon komplett durch den Wind – und dann kommt noch meine Mutter mit: »Der Möllemann ist vom Himmel gefallen.« Ich hatte ein Jahr vorher im Rahmen von »Theater der Welt« ja die »Aktion 18« gemacht: Nachdem Möllemann antisemitische Flugblätter in Nordrhein-Westfalen verteilt und gegen Michel Friedman polemisiert hatte, bin ich zusammen mit meinen behinderten Freunden vor Möllemanns Firma in Düsseldorf gefahren, da, wo er diese Waffengeschäfte mit dem arabischen Raum abgewickelt hatte, und habe eine Art Voodoo-Fluxus-Ritual veranstaltet. Jetzt wird zurückbeschmutzt – das war damals unsere Parole. Und da hat meine Mutter in ihrer Aufregung wohl kurz gedacht, ich hätte Möllemann verhext und jetzt wär ich dran.
Am Montagmittag, 12.00 Uhr in der Düsseldorfer Achenbachstraße. Die Jeans in die Stiefel gesteckt und die Fischerweste an. Beuys ist bei uns, der einzige Verfechter einer demokratischen Kunst. Die Wahlkampfhelfer Kerstin und Achim fahren gemeinsam mit mir in einem sonnig gelben US-Schulbus zum Waffenhändler Möllemann. Vor uns der Requisitentransporter mit ortskundigem Fahrer. Bei unsererseits steigt die Orientierungslosigkeit. Was hat dieser Hetzer nicht alles angerichtet in seinem führergleichen Größenwahn. Er
Weitere Kostenlose Bücher