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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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Reichen haben sehr viel Holz und verbrennen sehr üppig, werden vorher noch mit Farbe beworfen und mit Blumenkränzen geschmückt. Entzündet wird die Leiche am Mund, da wo der Atem rauskommt.
    Bhaktapur hat mich wirklich irre gemacht. In meiner Kitschbirne hatte ich mir natürlich ausgemalt, die Hinduisten seien irgendwie freier. Aber in Wahrheit sind sie so was von unfrei, weil sie die ganze Zeit beschäftigt sind mit ihren Hunderten von Göttern. Schon um fünf Uhr morgens geht’s da los mit der Betriebsamkeit: Da wird gebimmelt, Telefonnummer von diesem Gott, Telefonnummer von jenem Gott, da wird gerannt, Reis hierhin, Reis dahin, Farbe drauf, möglichst noch ein paar Reiskörner vor die Tür der Nachbarn, als Geste des Danks. Dann geht’s zur Arbeit, aber da wird auch schon wieder gesammelt für das nächste Fest oder für die nächste Verbrennung, dann noch zu dieser Zeremonie und zu jener. Eigentlich sind die da in einem permanenten Rauschzustand. Und dieser ganze Wahn, der da drinsteckt, ist natürlich auch ein Grad von Unfreiheit. Also ich glaube, die wirkliche Erlösung ist, nicht zu sagen, wir transformieren uns dann nachher, also wir sterben, dann werden wir transformiert und sind dann im Himmel. Ich habe überhaupt keine Lust, in den Himmel zu kommen. Ich möchte nicht da oben auf einer Wolke sitzen und Harfe spielen. Ich hab noch nicht einmal Lust, meinen Vater zu treffen. Ist vielleicht komisch, aber ich stell’s mir fast unangenehm vor, ihn zu treffen. Weil es doch wichtig ist, dass man auch mal ohne Eltern ist. Nicht, dass meine Mutter jetzt sterben soll, aber ich sag es trotzdem: Es wäre vielleicht ganz gut, wenn man mal das Gefühl hätte, frei zu sein. Ohne diese ständigen Zurechtweisungen, ohne all meine Rechtfertigungsversuche. Um die Geschichte noch zu Ende zu führen: Am Anfang hat mein Vater meiner Mutter die Filme mit einem kleinen Zettel in der Hand gezeigt, immer vorgespult zu den Landschaftsaufnahmen, sodass meine Mutter irgendwann dachte, ich sei Dokumentarfilmer. Was war da los? Was ist da passiert? Ich weiß es ja nicht.
    Und kann man jetzt noch etwas tun?

»Zum Raum wird hier die Zeit«
    Der Hasenverwesungsfilm in Bayreuth war natürlich auch so ein Transformationsvorgang. Das, was man im Zeitraffer sieht, dieses vermeintliche Atmen des toten Hasen, ist eigentlich ein Verwesungsprozess: wie langsam Larven und Würmer in der Wunde entstehen, irgendwann platzt die Wunde und der Hase löst sich auf. Das mochte die Familie Wagner gar nicht, das wollten sie unbedingt verhindern. Dabei ist doch der Hase ein christliches Symbol der Auferstehung und Verwesung ein Vorgang, der uns allen bevorsteht. Das soll man nicht weglügen, finde ich. Ich hab’s dann auch durchsetzen können. Und ausgesehen hat es wirklich nicht schlecht, wenn die Würmer und Krabben da ihren Hunger stillen und alles wieder so wunderschön in den Kreislauf der Natur eingeht: wie ein Ballett, würde ich sagen. Wenn man gesund ist, wenn man gerade glaubt, keinen Krebs, keinen Parkinson, keine multiple Sklerose, kein Aids, kein ALS oder was auch immer zu haben, dann kann man sich das ganz gut anschauen, vielleicht sogar poetisch finden. Dann ist das die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Inzwischen habe ich allerdings gemerkt: Wenn man sich im Randbereich des Lebens bewegt, dann kann man damit nicht mehr viel anfangen. Dann denkt man: Scheiße, mich interessieren die Würmer nicht, die da in mir entstehen! Ich will und muss erst mal wissen, wer ich bin. Deshalb habe ich bei der »Kirche der Angst« diese Sache dann auch noch mal weitergeführt, die Transformation ein bisschen in den Kitsch gezogen, indem am Ende so eine kleine glitzernde Figur auftaucht.
    Am Tag, als der Anruf aus Bayreuth kam, war ich gerade in Karlsruhe. Ich hatte eine Gastprofessur da, erzählte gerade etwas über meine Church of Fear, da klingelte es. Handy in der Vorlesung, das soll man nicht machen, aber ich war froh, weil es gerade so langweilig war, und ging dran: »Ja, hallo?«
    »Hallo, hier ist Bayreuth.«
    »Ja, hallo, wie geht’s denn so?«
    »Katharina Wagner möchte Sie gerne sprechen. Darf ich durchstellen?«
    Vorsicht, das ist doch »Versteckte Kamera«, schoss es mir durch den Kopf. Oder dass die anfragen wollen, ob ich auf dem Festivalgelände auf Stelzen rumlaufe und mit meinem Megafon »Tötet Wolfgang Wagner!« rufe. Nach zwanzig Minuten schellte es wieder, diesmal war direkt Katharina Wagner dran und sagte, sie müsse mich

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