Ich weiß, ich war's (German Edition)
hat eine längst totgeschwiegene Logik wieder belebt. Um Wählerstimmen zu bekommen, muss man den Antisemiten geben. »Deportationen jetzt!« Die Achenbachstraße ist dicht. Polizei, Pressefotografen und Filmstudenten vom Staatsschutz. Wir bahnen uns den Weg durch die schaulustigen Demonstranten. Vor uns hält der Transporter. Wir steigen aus und der Polizeieinsatzleiter kommt auf mich zu. Er weist mich auf mögliche Gesetzesverstöße hin und kündigt einen Gegenangriff an, sobald das Deutschland Möllemanns beschmutzt werde.
Aber genau das ist der Haken, an dem wir gerade zappeln, das ist der Fehler im System! Beschmutzt worden sind doch wir! Also das Klavier aus dem Transporter und in den Eingang der Firma WEB/TEC. Waschpulver ins Klavier und die Töne auf ihre Reinheit hin untersucht. Dieser Ort bedarf eines Rituals der Sauberkeit. Die Altlasten der Möllemann-Ära müssen entsorgt werden: die beschmutzte Flagge des Staates Israel und eine anonyme Strohpuppe. Sie steht für die Achse des Bösen. Nun werden 20 Kilo Federn verteilt, 7000 Patronenhülsen in Möllemanns Waffenfirma-Garten geworfen. Dazu noch stinkender Fisch. Ein altes Hexenritual. Auf Beschmutzung folgt Abwehr.
Die Kunst hat das Theater verlassen und auf der Straße das Leben getroffen. Politiker empören sich über den ihrer Auffassung nach unhaltbaren Zustand, dass politische Parolen und ihre populistischen Subtexte auf und abseits der Bühne zitiert werden. Artaud hätte seine helle Freude an ihrem fadenscheinigen Entsetzen, Breton würde nochmals nachladen, um in die Menge zu schießen. Politisches Theater findet nicht länger in ebendiesem statt, n-tv und Phoenix übertragen ab sofort jede Aufführung live – demnächst in ihrem Bundestag. Aktion 18 hat diesen Irrweg von Anfang an vermieden, sie hat ihn nicht einmal gekreuzt. BILD und Bildkopien fahren auf der gleichen Straße und sind auf Kollisionskurs. Die Frage ist nur, mit wem sie bald zusammenknallen.
(Aktion-18-Tagebuch, 25. August 2002)
Die Polizei rief übrigens nicht bei mir in Venedig an. Aber die Bild-Zeitung, die wissen wollte, ob ich den Friedman gesehen hätte, weil der gerade mit ein paar Frauen und Kokain im Hotel gefunden worden war. Da hat’s mir echt gereicht. Ich hab einfach behauptet: »Ja, der ist bei mir, der sitzt hier bei mir in Venedig auf einem Baum und macht auf Säulenheiligen.« Und die Reporter sind tatsächlich gekommen und wollten ihn interviewen. Ich nur: »Tut mir leid, der ist eben weggeflogen. Ich weiß auch nicht, wie das geht, das ist ja hier alles der Wahnsinn in Venedig, diese Hitze, all die Leute – der ist einfach weggeflogen!«
Als ich aus Venedig zurück war, kam dann das erste Treffen mit der Familie Wagner zustande. Das war in Berlin im Hyatt-Hotel. Katharina fing mich im Foyer ab und brachte mich hoch in die Beethoven-Suite. Die Wagners in der Beethoven-Suite – das war schon wieder merkwürdig, fand ich. Wir klingeln, und dann macht so ein kleiner Mann die Tür auf, schüttelt mir minutenlang die Hand, ist aber dabei die ganze Zeit total nach unten gebeugt und macht so merkwürdige, schnalzende Geräusche. Ist er das jetzt? Ist das Wolfgang Wagner? Ich versuche, irgendwie nach unten zu kommen, um sein Gesicht zu sehen, und flüstere zu Katharina rüber: Ist das der Papa? Nach fünf Minuten taucht sein Gesicht dann auf und er bittet uns rein: »Wie haben Sie sich entschieden? Eins müssen Sie wissen: Die Gage ist nicht verhandelbar!« Das war wirklich das Erste, was er sagte, und spätestens da wusste ich: Das ist Wolfgang Wagner.
Als ich anfangen will, ein bisschen zu erzählen, was ich so vorhabe mit dem »Parsifal«, geht die Tür vom Schlafzimmer auf und Gudrun Wagner kommt rein, ziemlich förmlich, mit so einem komischen, aufgesetzten Lachen. Nach der Begrüßung sagt sie: »Wir kommen gerade von der dänischen Königin und haben Ihnen etwas mitgebracht.« Dann geht sie zur Minibar und holt eine Plastiktüte raus. In der steckt eine Alubox und die drückt sie mir in die Hand: »Das ist dänische Leberpastete, die hat uns die dänische Königin geschenkt – und die schenke ich jetzt Ihnen, sehr geehrter Herr Schlingensief.«
Wirklich wahr. Ich dachte, ich treffe das heimliche deutsche Königspaar – und dann sitze ich da, mit Leberpastete auf dem Schoß, neben einem winzigen Mann, der merkwürdige Schnalzgeräusche von sich gibt, und einer Frau mit komischem Lachen. Da musste ich fast wieder denken, das ist doch alles nur Fake
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