Ich weiß, ich war's (German Edition)
in den nächsten Jahren an die künstlerische Mitarbeiterin Katharina Wagner übergeben würden. Für meine berufliche Zukunft alles Gute, hieß es noch.
Das kam für mich nicht in die Tüte. Ich wollte mich nicht wegschicken lassen und habe gleich geantwortet, dass ich weiterarbeiten und weiterlernen möchte. Und wir haben ja tatsächlich die vier Jahre durchgehalten, weil mein Team toll war und weil wir immer wieder mit dem Anwalt, meinem Freund Peter Raue, interveniert haben. Das war prima: Die Familie Wagner musste blechen und blechen für ihren wahnsinnig teuren Anwalt, während meiner da aus Freundschaft loslegte. Irgendwann haben sie mir dann den Wahnsinnsbetrag von 1000,– Euro für Kostüm- und Bühnenbildänderungen für 2005 genehmigt. Wahrscheinlich hofften sie, dass ich jetzt endlich aufgebe. Hat aber nicht geklappt. Ich habe die Jahre drauf einfach viel selbst gemalt, was aber auch nicht recht war. Schon im ersten Jahr hatte ich während einer Probe »Kirche der Angst« auf eine Bühnenwand gemalt, weil ich weiterhin mit der Church of Fear unterwegs war und weil ich inzwischen eh dachte: Hier ist sie, der grüne Hügel ist die Hauptstadt meiner Kirche der Angst. Am nächsten Morgen war alles wieder überpinselt. Mit der Begründung, sie würden nicht daran teilnehmen, eine Sekte zu unterstützen.
Und ich war ja glücklicherweise schon vorher mit meinem Team losgezogen und hatte in Afrika Filmmaterial gedreht, alles haben wir selbst bezahlt, Alexander Kluge hat uns da finanziell glücklicherweise ein bisschen ausgeholfen. Besonders in Namibia waren wir unterwegs, Meika Dresenkamp, Jörg van der Horst, Voxi Bärenklau und ich. Diese Reisen haben wahnsinnig Spaß gemacht, weil sie den christlichen Mitleidsschmier, der den Nietzsche beim »Parsifal« nicht umsonst aufgeregt hat, noch mal ganz anders infrage gestellt haben. Es gab plötzlich auch den Gedanken, die Wunde des Amfortas könnte eine Wunde sein, die in anderen Ländern geschlagen wurde. Auch eine interessante Perspektive.
Und ich habe mich um meine Hasen gekümmert in Afrika. Die liegen da oft tot am Straßenrand rum, weil sie nachts von den Autos überfahren werden. Die meisten werden natürlich mitgenommen, aber es bleiben eben auch welche liegen. Das waren dann für mich der kleine Klingsor und der kleine Parsifal. Einmal haben wir sogar einen Hasen mit einer richtigen Wunde gefunden, das war dann der kleine Amfortas. Man nimmt ja seine Fantasie mit, wenn man unterwegs ist. Und dann stellt man plötzlich fest: Wo man auch hinkommt, spielt der Hase in Mythen und Geschichten eine wichtige Rolle. Es gibt ihn in Asien als Hase im Mond, es gibt ihn bei Fibonacci, diesem mittelalterlichen Mathematiker, der mit seiner Zahlenreihe das Wachstum einer Hasenpopulation beschrieb, es gibt ihn bei Beuys. Und es gibt ihn in Afrika, bei dem Märchen der Namas in Namibia. Das erzählt, wie der Mond den Menschen einmal eine Botschaft senden wollte: dass sie auf ewig lebend sterben und sterbend leben werden – wie er. Ein Hase sollte den Menschen diese frohe Botschaft ausrichten, konnte sich aber die Worte nicht merken und sagte: Wer tot ist, bleibt tot und lebt nie wieder. Da schlug der Mond dem Hasen vor Wut auf die Nase. Seitdem hat er eine Hasenscharte, und die Menschen fürchten den Tod.
Das letzte Mal gesehen habe ich Wolfgang Wagner bei der Trauerfeier von Gudrun Wagner. Das war sehr traurig und sehr anrührend, wie er da saß. Das letzte Mal gesprochen habe ich ihn im letzten Jahr von Parsifal kurz vor Eröffnung der Festspiele 2007. Es gab da damals diesen kleinen Konferenzsaal, in dem die Königsfamilie Wagner in den Pausen gerne einige Auserwählte zu einem kleinen Plausch einlud. Und in diesem Raum fanden auch die Sitzungen für neue, aber auch laufende Produktionen statt. Da müssen also alle mal gesessen haben. Jedenfalls in den letzten zwanzig Jahren. Zu Beginn der Besprechungen zum Parsifal bekamen wir großartige Schnittchen mit Lachs, Leberwurst vom Feinsten, hervorragende Fleischwaren, Getränke rund um den Globus und zum Kaffee sogar noch hervorragende Pralinen oder Kuchenstücke, die ihresgleichen suchten. Im Verlaufe der Produktion stürzten wir aber ab und saßen bereits im zweiten Jahr nur noch mit einer von jenen Keksdosen am Konferenztisch, die man normalerweise von schlecht sehenden Großtanten kennt. Irgendwelche zerbrochenen, ausgetrockneten Plätzchen mit leicht grauer Schokoladenfüllung oder merkwürdigem Käsegeschmack.
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