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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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»Parsifal«. Wiederaufnahmeproben zur dritten Spielzeit, Bayreuther Festspiele, 2006
             
Bühnenbildvorbereitungen zur Premiere, 2004

             
Mitteilung Schlingensiefs an Ensemble und Bühnenarbeiter, 2004
             
»Parsifal«, 1. Aufzug, Verwandlung, Aufführung 2007 (Szenenfoto)
             
Von Schlingensief beschriebenes Probenfoto

Ein Opernhaus in Afrika
    Meine Arbeit in Bayreuth, auch die Inszenierung in Manaus haben natürlich was zu tun mit der Idee, ein Opernhaus in Afrika zu bauen. Dieser Gedanke spukte ja schon vor der Krankheit in meinem Kopf – und irgendwann habe ich ihn dann ausgesprochen und angefangen, nach einem Ort zu suchen. Deshalb kommen jetzt natürlich die Fragen: Warum Oper? Was willst du denn damit machen? Bayreuth nach Afrika tragen? Nein, das will ich natürlich nicht! Ich finde, Afrika hat’s auf keinen Fall verdient, dass da Bayreuth eröffnet wird und nachher irgendwelche Gottschalks oder Kanzlerinnen oder Außenministerinnen vorbeilaufen und sich das angucken. Und so ein Opern-Ufo wie am Amazonas landet auch nicht auf dem afrikanischen Kontinent! Da tauchte ja Ende des 19. Jahrhunderts bei den europäischen Kautschukbaronen in Manaus die Frage auf: Was machen wir denn bloß abends? Da kam die Idee auf: Hey, lass uns in die Oper gehen. Und dann haben die dieses Riesenteil mitten in den Dschungel gebaut, sämtliche Baumaterialien kamen natürlich aus Europa. Wenn man in der Mitte des Zuschauerraums steht und hochguckt, sieht man den Eiffelturm über sich, an der Seite sind in kleinen Kämmerchen die Büsten europäischer Kulturköpfe aufgereiht – und da saßen die Herren dann drin, war wie zu Hause, nur zu heiß, und draußen bekamen alle Malaria und Gelbfieber. Aber ein bisschen Heimat musste sein.
    Das ist natürlich hanebüchen. Das ist nicht der Sinn der Sache. Aber die Oper als Instrument oder als Idee ist eben doch etwas Interessantes. Die hat die Leute mal so erregt, dass sie sogar eine Revolution gestartet haben, 1830 in Belgien, als »Die Stumme von Portici« von Eugene D’Albert aufgeführt wurde. Da sind die Leute in der Pause rausgerannt und haben Revolution gemacht. Und früher war es so, dass die Oper – man kann das sogar fast ableiten aus den vedischen Chören –, dass der Gesang in den griechischen Theatern verbunden war mit der Genesung des Menschen. Da wurden in Epidauros richtig Rezepte ausgestellt, da gab’s Ärzte, die Ihnen Theaterbesuche oder Opernbesuche verschrieben haben. Damals war Kunst und Kultur eben auch zur Heilung da, was wir vollgefressenen, europäischen Kulturkämpfer natürlich völlig verlernt haben. Wir gehen nicht in die Oper, um geheilt zu werden, sondern a) sitzen wir da blöd rum und denken, wo gehe ich denn nachher essen, und b) sind wir sowieso nicht heilbar. Meine Idee von Oper ist eigentlich so etwas wie eine Arche, ein Dorf, ein Operndorf. Das heißt eine Fläche, auf der gebaut werden soll, was eine Oper vielleicht mal war, bevor wir so eine amputierte Veranstaltung draus gemacht haben, ohne Leben, ohne Improvisationskunst, ohne Spiritualität.
    Wobei ich gerne zugebe, dass ich am Anfang tatsächlich von einem richtigen Opernhaus fantasiert habe. Ganz romantisch, kitschig war ich da unterwegs, roter Hügel statt grüner Hügel, was weiß ich was. Ich hatte sicherlich Altlasten, die ich mit mir rumgeschleppt habe. Und das waren eben solche Vermengungen und Übermalungen, die ich betrieben habe, mein romantischer Quirl. Und ich habe das natürlich bei meinen Arbeiten immer gehabt: Dass ich etwas ausdrücke, was riesengroß ist – und dann wird etwas ganz anderes daraus. Das gehört dazu, finde ich. Denn wenn man genau das umsetzt, was man sich vorher auf dem Reißbrett ausgedacht hat, dann wird das ja fast nie was.
    Ich kann aber auch nicht sofort alles von dem ab- und weglegen, was ich erlebt habe. Zum Beispiel in Manaus: Wie da plötzlich 500 Leute aus den Favelas in diese Oper reinkommen und trommeln und draußen stehen Tausende Favela-Bewohner rum, die auch noch mitmachen. Das war großartig, das kann ich nicht vergessen. Will ich auch nicht. Denn ich hatte ja immer das Gefühl, man muss sie auch sprengen, diese Hochkultur. Nicht zerstören, das meine ich nicht, sondern man muss einfach Leute reinlassen, die damit eigentlich nichts zu tun haben und die da mal wieder Kraft reingeben. Ich kann auch immer noch nicht ganz Abstand nehmen von so einem Begriff wie Gesamtkunstwerk.

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