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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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völlig verzweifelt in meinem Hotelzimmer und habe mir mein Hirn zermartert, was ich jetzt machen soll. Dann habe ich mir die Aufzeichnung einer berühmten Inszenierung des »Parsifal« geschnappt und mir besagte Szene angeschaut. Da sieht man Folgendes: Gralsritter Gurnemanz steht, faltet die Hände und schaut zum Himmel, Kundry sitzt und faltet die Hände. Gurnemanz kniet nieder und schaut zum Himmel. Kundry steht auf, schaut zum Himmel und faltet die Hände. Parsifal tritt auf, faltet die Hände und schaut zum Himmel. Und so weiter und so fort – eine halbe Stunde lang. Super, dachte ich und hab alles in mein Probenbuch eingetragen: Kniet sich hin, faltet die Hände, steht auf, schaut zum Himmel, kniet nieder, schaut zum Stuhl, geht zum Stuhl, liegt unterm Stuhl.
    Am nächsten Tag laufe ich mit Fotokopien unterm Arm gut gelaunt zur Probe. Die Skepsis der Sänger ist zum Greifen, aber mir ist’s egal. Ich verteile die Fotokopien und fange an zu erklären: »So, also Folgendes, passen Sie auf. Ich habe folgendes Konzept: An dieser Stelle knien Sie, Gurnemanz, nieder, ab hier bitte die Hände falten, ja genau, dann schauen Sie zum Himmel hoch. Und schließlich gefaltete Hände gen Himmel, okay? Ja, genau so, prima. Dann kommen Kundry und Parsifal von dieser Seite, Kundry bitte hinsetzen und Blick zum Himmel, und Sie, Parsifal, setzen sich bitte hierhin, an dieser Stelle dann aufstehen, drei Schritte nach rechts bitte und Hände falten.« Während ich alles minutiös erkläre, höre ich von den Sängern nur: »Ah ja, prima, prima.«
    Dann haben sie tatsächlich alles genauso gespielt: Hingekniet, Hände hoch, Hände runter, aufgestanden, hingesetzt – es war unglaublich. Alle waren beschäftigt, alle haben irgendwo hingeschaut, waren mit irgendwelchen Heiligen und Engeln zugange, Erlösung, Erlösung. Nach zwei Stunden Probe stand die Szene. Die Sänger strahlten und bedankten sich überschwänglich: »Super Probe, Herr Schlingensief, großartig, superintensiv, wirklich, ganz toll.« Und zum krönenden Abschluss kommt abends auf ihrer Geburtstagsfeier Gudrun Wagner zu mir und sagt tatsächlich: »Na bitte, geht doch!« Mir fiel fast die Beuys’sche Baby-Eiche aus der Hand, die ich ihr gerade als kleines Geschenk überreichen wollte. Inzwischen haben ja auch die Jünger von Beuys den Markt entdeckt und verkaufen solche Kindereichen von den berühmten 7000 Eichen aus Kassel. Und eine davon habe ich Gudrun Wagner geschenkt, sie hat wahrscheinlich gedacht, ich drücke ihr Unkraut in die Hand. Inzwischen ist dieses »Na bitte, geht doch!« zwischen Aino und mir zum Code-Wort geworden: Immer wenn etwas klappt, womit wir gar nicht mehr gerechnet haben, kommt einer von uns unter Garantie mit diesem Spruch an. Und dann lachen wir uns kaputt.
    Die Proben waren wirklich nicht leicht – es gab Streit ohne Ende. Zum Beispiel als Gudrun und Wagner mitbekamen, dass Kundry ein afrikanisch anmutendes Kostüm tragen sollte. Da bekam ich in der Mittagspause einen Brief zugestellt. Der ging ungefähr so:
    Sehr geehrter Herr Schlingensief, nach einstündiger, Ihnen aus gutem Grunde zuvor nicht angekündigter Probenbeschau möchte ich folgende Fragen von Ihnen beantwortet wissen:
    a) Was bezwecken Sie im zweiten und dritten Akt mit dem mehrmaligen Auftritt der dicken Frau? Im mir vorliegenden Konzeptpapier vom 15. Mai dieses Jahres wird die Rolle der Dame mit dem Oberbegriff der Urmutter aufgeführt. Mir will sich aber auch nach Rücksprache mit meiner Frau sowie dem Vorsitzenden der Wagner-Gesellschaft partout nicht erschließen, worin der Sinn dieses Auftritts zu finden ist. Die dicke Urmutter spielt nicht, sie singt nicht, steht nur herum und ist überdies fast unbekleidet, wenn nicht sogar nackt. Das kann und darf nicht Ihr werter Ernst sein, Herr Schlingensief.
    b) Wieso muten Sie es Frau Michelle de Young im zweiten Akt zu, einen anschnallbaren Affenpo tragen zu müssen? So wie mir in der heutigen Probe sollte es Ihnen zu einem früheren Zeitpunkt aufgefallen sein, dass die dadurch für Frau de Young notwendig werdende Beugung nach vorne ihr Gesangsvolumen für jeden wahrnehmbar beträchtlich einschränkt. Wo wollen Sie mit solch störender, zumal überflüssiger Detailbesessenheit hin, Herr Schlingensief? Mit freundlichen Grüßen, Wolfgang Wagner.
    Verbunden war dieser Brief mit der Mitteilung, dass für 14 Uhr auf der Bühne eine »Beschau« dieses Kostüms anberaumt sei. Ich bin sofort ins Hotel gerast, habe wie wild die

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