Ich weiß, ich war's (German Edition)
Diese Reduzierung aufs Mindeste hatte nicht nur mit der finanziellen Situation zu tun, die bewirkte, dass mir jedes Jahr schriftlich mitgeteilt wurde, dass nur 1000,– Euro für Kostüm- oder Bühnenänderungen zur Verfügung stünden, sondern vor allem mit der dadurch sinnfällig werdenden Tatsache, dass man in der Gunst von Gudrun extrem abgestürzt war. Aber auch das war egal, weil es ja um die Arbeit ging und nicht um irgendwelche Schnittchen. Und genau diese Arbeit, und das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal wiederholen, weil es noch immer irgendwelche Hofschranzen gibt, die behaupten, ich wäre undankbar und wolle Bayreuth nur noch schlechtreden, weil sie damit ihre Chance wittern, irgendwann zum inneren Zirkel des großen Wagnerkuchens zu gehören, diese Arbeit in Bayreuth war, egal wie groß der Stress und die Gehässigkeiten, die Verachtung und der Widerwille an diesem Ort geschürt wurden, für mich die größte Freude, die man mir jemals bereitet hat. Die Momente, über die so viele Gerüchte kursieren, einmal live erlebt zu haben, ist eine Belohnung, die ich nicht missen möchte. Was war das für eine helle Freude, wenn Wolfgang Wagner selbst gegen den Willen seiner Frau mit mir Kontakt aufnahm, um dann ganz großartige Geschichten über die Wollunterhose von Winnie zu berichten oder über Furtwängler, der auf der Judenwiese bei dem Versuch, ein weiteres Blumenmädchen zu verführen, fast vom Mähdrescher überrollt worden wäre. Da lachte Wolfgang, da blitzten seine Augen. Oder wenn er erzählte, wie er es geschafft hatte, Gelder vom Marshallplan so umzuleiten, dass sie in der Bayreuther Scheune landeten. Der Mann war ein Schlitzohr und das genoss er jede Stunde!
Ich weiß noch, wie er vor der ersten Probe im zweiten Jahr auf die Probebühne kam und schrie: »Was soll das? Ist jetzt schon schlechter als im letzten Jahr!« Da hörte man ihn in seinem tiefsten Inneren regelrecht grölen. Denn er liebte seine Kommentare, seine Geschichten, seine Auf- und Abtritte. Wenn er dann die große Bühne »endgültig« verließ und schrie, dass es auch der Letzte in der letzten Reihe hören konnte: »Machen Sie doch, was Sie wollen. Das interessiert mich nicht mehr!«, saß er schon zwei Minuten später wieder auf seinem eigenen Inspizientenstuhl. Oder er marschierte gleich zu Gudrun, die in ihrem Zimmer sämtliche Überwachungskameras oder Abhörmikrofone bedienen konnte. Es war wirklich viel los in diesem kleinen Königshaus, was nicht mit Geld zu bezahlen ist. Und wenn ich dann lese, ich würde die Hand meines Arbeitgebers schlagen – dann lache ich noch lauter als Wolfgang, denn zum einen lebe und arbeite ich mittlerweile woanders und zum anderen war die Zeit mit Wolfgang so ziemlich das Tollste, was ich überhaupt je auf einer Bühne erlebt habe. Alleine in den ersten zwei Jahren Pierre Boulez erleben und von ihm lernen zu dürfen, dann zu sehen was passiert, wenn der neue Parsifalsänger plötzlich anfängt zu leben, ein wirklicher Mensch zu sein, oder im dritten Jahr zu lernen, wie einige Sänger nicht mehr über eine Verlängerung informiert wurden, weil sie sich kritisch über das Haus geäußert hatten und deshalb plötzlich umbesetzt wurden – das waren Sternstunden der Musikausbildung! Und das Tollste war Wolfgang, der zwar im dritten Jahr stark vernachlässigt mit Löchern in der Hose durchs Haus stolperte, bis sich dann Katharina für ihren Vater einsetzte und dafür sorgte, dass er nicht jeden zweiten Tag die Treppe runterfiel, wenn er immer wieder durch »sein Haus« und somit »sein Werk« schritt! Ja, so muss ich es sagen. Bei allen Alterserscheinungen fand er immer wieder Kraft in seiner Scheune, in seinen Probenräumen, den Konferenzen, den kleinen und großen Kriegen. Wolfgang war wirklich Bayreuth! Und über Gudrun muss ich ja nichts schreiben. Aber Wolfgang hat mich sehr beeindruckt, und nach vier Jahren, als unser Parsifal mittlerweile mehr als positiv denn als negativ für die Entwicklung Bayreuths eingestuft wurde (worüber nicht nur ich mich gefreut habe, sondern auch Wolfgang und Katharina), da war der Laden schon wieder ein bisschen weicher geworden. Da war es teilweise sogar richtig angenehm. Und da endet dann auch meine kleine Geschichte über die Parsifalzeit in Bayreuth. Wir saßen wieder in diesem verwanzten Konferenzzimmer – und diesmal wurden wir mit Tramezzinis der allerbesten Art überschüttet. Wolfgang und ich saßen uns gegenüber. Gudrun links, mein
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