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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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Partitur durchgeblättert und gefleht: »Richard, hilf mir!« Und dann fand ich tatsächlich eine Regieanweisung, in der es ungefähr heißt: »Kundry in dunkelfarbenem Gesicht und mit knöchellangem Schlangenrock«. Ich habe sofort die Seite rausgerissen, »Danke, Richard« gerufen und bin zurückgerast zum Festspielhaus. Punkt 14 Uhr waren alle da, Gudrun saß irgendwo im Dunkeln des Zuschauerraums, Wolfgang stand neben mir auf der Bühne, und eine Komparsin lief mit diesem wabbeligen Teil von Riesenhintern ein bisschen hin und her. Dann legte Wolfgang los: »Das da, was soll das? So ein Quatsch. Das kommt nicht infrage, das geht nicht.« Ich bin ganz ruhig geblieben: »Aber Herr Wagner, das hat schon alles seine Richtigkeit. Schauen Sie mal hier, Regieanweisung von Richard Wagner, lesen Sie mal, da steht’s doch: ›Schlangenhäute lang herabhängend, tief braunrötliche Gesichtsfarbe; stechende schwarze Augen‹.« Und dann habe ich den alten Herrn einfach nur noch zugetextet: dass das der Beweis sei, dass Wagner hier eine afrikanische Schlange meinen würde, weil eine europäische Schlange ginge nur bis zum Knie etc. etc. Irgendwann gab er völlig entnervt auf. Mit einem »Ach, machen Sie doch, was Sie wollen!« zockelte er über die kleine venezianische Brücke von der Bühne in Richtung Zuschauerraum. Gudrun schrie noch aus der Tiefe des Raums: »Wolfgang, was hast du vor?« »Was soll ich denn machen, Gudrun?«, zischte er nur, und weg war er. Damit war das Thema durch. Kundry trat dann in diesem Sackkostüm auf.
    Ärger gab’s aber nicht nur mit der Familie Wagner, sondern auch mit dem Tenor. Bei dem hat mir Boulez sehr geholfen: »Passen Sie auf, ich mache Folgendes: Ich werde mit ihm reden, und dann sag ich Ihnen morgen, wie Sie’s machen müssen.« Am nächsten Tag berichtete er: »Es ist so: Wenn er noch mal Probleme macht und sagt, ich verstehe nicht, das ist nicht Richard Wagner, das hat Richard Wagner nie gesagt, dann sagen Sie einfach: ›Aber Lieber, das ist ein Ritual.‹ Sie werden sehen, er wird’s verstehen.« So habe ich das dann auch gemacht: »Aber Lieber, das Ganze ist ein Ritual, verstehst du? Das sind alles Rituale, die hier ablaufen, überschnittene, überblendete Rituale.« Er schaute kurz verblüfft und sagte dann: »Ja, das verstehe ich.« Boulez hat sich gefreut wie ein Honigkuchenpferd.
    Vor allem eine Sache, die mir wirklich am Herzen lag, habe ich nicht durchsetzen können. Carl und ich wollten unbedingt, dass eine längere Pause entsteht, bevor Titurel, der Begründer der Gralsdynastie, aus dem Jenseits seinen Sohn Amfortas fragt: »Mein Sohn, bist du im Amt?« Da gibt es auch in der Partitur eine Generalpause, Wagner wollte also eine Zäsur. Und ich wollte, dass diese Pause vier, fünf, vielleicht sogar zehn Minuten dauert, eine Phase der Ruhe – bei viereinhalb Stunden müsste das doch möglich sein, dachte ich. Ich war überzeugt davon, dass diese Stille eine metaphysische Kraft entfaltet hätte, auf der Bühne und beim Publikum. Denn gerade in der schlagartig einsetzenden öffentlichen Stille liegt der Hauptsprengstoff, glaube ich. Bei Wagner nicht anders als bei einem Rockkonzert. In dem Moment, wo die Stille eintritt, hört man, was in einem nachschwingt; das ist eigentlich das Hauptkonzert. So wie die Dunkelphase zwischen den Bildern eigentlich der Hauptfilm ist. Nicht wenn Amfortas ununterbrochen schreit: die Wunde, die Wunde, aua, aua. Und alle hören zu, gib’s uns, los, »zeig uns deine Wunde«, und noch mal, »zum letzten Mal«. Das ist laut, ist auch unterhaltsam und alle können schön mitsingen: »Wir im Verein wollen wir sein.« Aber wenn in diesen christlichen Mitleidsschmier die Stille reingeknallt wäre, wäre man auf sich selbst zurückgeworfen worden. Wie auf einer Beerdigung: Wenn man plötzlich da steht, es ist kalt, die Füße sterben ab, der Pfarrer hat zu Ende gebetet, und wir warten und warten und nichts passiert. Dann können wir vielleicht die Stille des Toten hören, in diesem Moment können wir vielleicht diesen inneren Aufruhr aufspüren, was das heißt: Der ist jetzt weg.
    Die Aufführung kam auch ohne die Pause besser an, als wir gedacht haben. Die Kritik war sehr gnädig, das Publikum gespalten, natürlich gab’s ziemlich viele Buhs, aber es gab auch Fans. Nach dem Premierenapplaus bekam ich hinter der Bühne gleich einen Brief überreicht, in dem mir die Familie Wagner mitteilte, dass ich ab jetzt freihätte, weil sie die Wiederaufnahmen

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