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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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vier Jahre her, unglaublich. Vor vier Jahren bin ich da noch ohne Sinn und Verstand rumgeturnt, wollte irgendwie Kunst machen, Kunst fürs Museum, und habe das Ganze da abgeladen, nur um es ein paar Wochen später wieder mitzunehmen.
    Ich muss ehrlich sagen, da war ich ziemlich am Ende, auch künstlerisch. Aber das kommt ja öfter vor, oder? Dass man nicht mehr weiß, was man eigentlich erreichen will, was der Sinn ist von dem, was man tut. Und dann gab’s natürlich die romantische Phase, hinzufahren und mit den Schwarzen zu tanzen, ein paar Fotos für die Zeitungen, wir vertragen uns, wir sind Freunde geworden, toll. Über die Phase bin ich auch schon hinaus, glaube ich, aber im Kern habe ich immer noch diese romantische Ecke in mir, dieses Gefühl, dass Afrika eben doch ein ganz wichtiger Kontinent ist, dass man da mal eingreifen und, ja, auch helfen muss.
    Und so sind wir losgefahren, um das richtige Land zu suchen, waren in Kamerun, in Mosambik zu Besuch bei Henning Mankell, dann in Burkina Faso. In Maputo, Mosambik, haben Sie auf der einen Seite Leute, die mit fünf Cent am Tag fünf Leute durchbringen müssen, auf der anderen Seite total reiche Schwarze, die ihr Geld mit den Drogen machen, die an der Küste angeschwemmt werden, und die sich schon vor ihren eigenen Leuten schützen müssen. Da rollen Rolls-Royce durch die Straßen der Hauptstadt, überall Plakate mit iPhone-Werbung, der erste Hugo-Boss-Shop hat eröffnet – und auf dem Marktplatz kann man am Abend unter den Augen geschmierter Polizisten achtjährige Mädchen kaufen. Und sich mit sächselnden Schwarzen unterhalten, die nach der Wiedervereinigung einfach abgeschoben worden sind. Ingenieure, Wissenschaftler – die leben jetzt irgendwo am Meer und stellen Ananasbier für Touristen her.
    Vor ein paar Jahren wäre ich wegen all dieser Plakatthemen sicherlich sofort nach Mosambik gegangen, aber die sind nicht mehr mein Thema. Drogen, Korruption, Prostitution – das sind alles wichtige Probleme, darüber soll man auch was machen. Aber mich interessiert inzwischen etwas anderes. Ich will keinen Tumult anzetteln, ich will, dass sich die Dinge in Ruhe entwickeln. Und dann treffe ich in der Berlinale-Jury erst Gaston Kaboré, den tollen Filmemacher aus Burkina Faso, der dort das größte Filmfestival Westafrikas ins Leben gerufen hat. Und vor Ort lerne ich plötzlich diesen Architekten kennen, er heißt Francis Kéré und ist Häuptlingssohn. Sein Vater lebt in Gando, zweieinhalb Stunden entfernt von Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso. Burkina Faso ist für mich ganz klar der Favorit. Denn dieses Land ist in einer verhältnismäßig reinen, friedlichen Situation, kein Druck, keine Aggression, wenig Hektik. Ich habe mich sauwohl gefühlt, als ich das erste Mal da war, bin mit meinem Dolmetscher Mohammed durch die Gegend gefahren, hatte Fragen über Fragen, und als ich auf den Straßen diese ganzen Verkaufsstände wie an einer Perlenkette aufgereiht gesehen habe, da die Instrumente, dort die Schneiderei, die Motorräder, den Friseur, kam das Operndorf automatisch in den Kopf. Da war alles da, was ein Operndorf braucht – wenn man das mal in Schneckenform anordnen würde.
    Auch das, was mir musikalisch und tänzerisch in Burkina begegnet ist, ist großartig. Wenn man so eine Idee in den Raum wirft, begegnen einem ja Hunderte von Leuten, die ganz aufgeregt erzählen, sie würden einen tollen afrikanischen Tänzer kennen, der tanze wie Gott und sei schon in Avignon gewesen. Müsse ich mir unbedingt angucken. Die interessieren mich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht. Ich will keine vom Training völlig ausgemergelten Tänzer anschauen müssen, die für uns vollgefressenen Europäer den Hunger der Dritten Welt darstellen. So etwas sieht man da unten auch gar nicht. Stattdessen Männer, die den Frauen ihre Geschichte vortanzen. Und die Frauen antworten dann darauf mit ihrer eigenen Geschichte. Und so weiter und so fort. Wie diese Improvisationen genau funktionieren, weiß ich nicht, das Ganze war praktisch ein Austausch der Körper, die in einer Erzählstruktur waren. Natürlich ist Bolschoi toll, soll auch alles bleiben, aber mir gefällt das sehr, wenn man sich beim Tanzen nicht selbst im Spiegel betrachtet, sondern den anderen anschaut, um zu sehen, was der so zu bieten hat.
    Burkina Faso ist auch deswegen großartig, weil die Sache mit den Religionen ziemlich gut klappt. Da leben Muslime und Christen gleichberechtigt nebeneinander. Es ist sogar

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