Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
Vom Netzwerk:
Das ist zwar durch den Realismus, den ich durch die Krankheit immer mehr an der Backe kleben habe, weniger geworden, glaube ich. Ich kann nicht mehr so viel träumen. Ich muss konkreter werden. Ich will, dass man zu Ergebnissen kommt. Und so geht mein romantischer Quirl langsam aus. Aber er rotiert und blubbert doch noch ein bisschen.
    Natürlich hab ich auch ganz bewusst von Begriffen wie Festspielhaus, Opernhaus gesprochen. Damit viele Leute eintreten in den Gedanken. Ihre eigene Fantasie freisetzen. Oper ist nun mal in Deutschland der Überbegriff für den elitären Glanz der Hochkultur. Eigentlich in der ganzen Welt. Deswegen fand ich den Begriff schon mal gut, weil er zu Missverständnissen eingeladen hat, weil man an den Reaktionen gemerkt hat, wie plakativ wir hier in Europa sind. Weil er uns zwingt, mal über unseren Kunstbegriff nachzudenken. Und weil wir mal überlegen müssen, was das denn eigentlich sein kann: sinnvolles Helfen, sinnvoll Gutes tun. Denn diese Idee, ich geh jetzt mit meinem europäischen Helfer-Gen mal nach Afrika und tu was Gutes, ist Bullshit. Hatte ich ja auch. Ablasshandel: Wollte ein besserer Mensch werden, damit ich ein bisschen besser ertragen kann, dass ich hier auf Kosten so vieler anderer Menschen lebe. Diesen ganzen Gutmenschenbrei muss man von sich abkratzen. Gutes tun? Betroffenen helfen? Dieses Wort »Betroffene« ist doch grauenhaft. Niemand ist ein Betroffener – natürlich gibt’s Leute, die keine Chance haben, da muss man was tun – aber das sind ja sachliche Vorgänge, da muss halt Geld hin, basta. Irgendwie ist das doch falsch, da so ein Patenkind zu haben, das natürlich total süß ist – und wir tun mit 100,– Euro ein bisschen Gutes, damit wir uns selbst besser aushalten. Das ist doch falsch, das geht doch nicht, diese Länder nur unter dem Image »die Armen, die Armen« zu betrachten.
    Und dann all diese Entwicklungshilfeprojekte. Ich war zum Beispiel öfters in Nepal, Kathmandu. Was haben die Deutschen da gemacht? Die Deutschen haben ein Müllkraftwerk gespendet. Das verbrennt da Müll, und der Strom, der dabei entsteht, ist nur dazu da, das Müllkraftwerk zu beleuchten. Das heißt, es gibt gar kein Kabel nach außen. Das ganze Licht geht auf das Müllkraftwerk, man kann also sehen, was die Deutschen da Tolles gebaut haben. Und die Franzosen haben einen Oberleitungsbus gespendet, der fährt aber nicht, weil es keinen Strom gibt. Okay, ein Stückchen Oberleitung gibt’s, da fährt der leere Bus dann immer hin und her, ist keiner drin, die Strecke lohnt sich nicht. Die Chinesen haben für den Bus dann noch eine Verkehrsampel geschenkt. Die Leute wissen gar nicht, was das sein soll. Und inzwischen gibt’s Gruppen, die glauben, die Lichter seien Götter. Grüner Gott, gelber Gott, roter Gott. Die haben Streit, weil die gelbe Gruppe zu kurz kommt. Jetzt gibt’s da schon Auseinandersetzungen und Hungerstreik, damit Gelb länger leuchtet.
    Was ich sagen will: Wir stiften mit unserem Helfersyndrom so oft mehr Streit, als dass wir irgendetwas Gutes tun. Lukas Bärfuss, der Schriftsteller, der jetzt in Osnabrück den zweiten Preis bekommen hat, mit Henning Mankell zusammen, hat das in seiner wunderbaren Dankesrede ausgeführt. Ich kann auch seinen Roman »Hundert Tage« nur empfehlen. Da geht es um die Arbeit der Entwicklungshilfe und was alles nachher damit passiert, auch was die Kolonialzeit letzten Endes noch für Schäden hinterlassen hat.
    Ich möchte noch mal kurz darauf hinweisen: Die Arbeit in Afrika hat nicht plötzlich mit der Krankheit begonnen, Afrika spielt bei mir schon seit Langem eine Rolle. 1993 war ich das erste Mal dort. Meine damalige Freundin Tabea kam auf die Idee: Du musst nach Afrika, das wird dir gefallen, sagte sie. Ihr Vater war Missionarspriester in Südafrika gewesen und wurde ausgewiesen, weil er gegen die Apartheid gekämpft hatte. Tabea und ich sind also nach Simbabwe gefahren – damals war Robert Mugabe noch nicht der Diktator, der er heute ist. Und Tabea hatte recht: Zum ersten Mal habe ich gespürt, dass ich in Afrika weniger hektisch bin, dass ich dort ein anderes Zeitgefühl habe. Aber ich bin auch voll im Betrugssystem gelandet. Es ist schwer, in Afrika nicht als komischer Tourist rumzulaufen. In Namibia zum Beispiel, wo ich auch öfters war, fangen die Hereros abends auf Knopfdruck an zu tanzen und zu singen. Und als Weißnase ist man begeistert: Wow, ich bin bei den Halbaffen. Diese Begeisterung hatte ich am Anfang auch mal.

Weitere Kostenlose Bücher