Ich weiß, ich war's (German Edition)
nicht ungewöhnlich, mehrmals im Leben die Religion zu wechseln. Mein Dolmetscher zum Beispiel war Katholik, hieß aber Mohammed. Er hatte also schon mal vom Islam gewechselt, wollte aber noch mal im Protestantismus gucken. Und in den Hütten sieht man Maria- und Josef-Figuren und daneben hängt ein getrockneter Rinderpimmel vom Voodoo-Ritual. Der Animismus ist also auch noch da. Das heißt vor allem, die Toten, die Ahnen sind anwesend. Das ist natürlich bekannt, ich will auch nichts verklären, aber das alles ist schon sehr beeindruckend.
Und dieser Architekt Francis Kéré ist meine Eintrittskarte für Burkina, mein Zugang zu diesem Land. Er hat in Europa studiert, lebt halb in Berlin, halb in Burkina und reinvestiert sein Wissen in seiner Heimat, wie er sagt. Was für ein Glück war das, von ihm seine Welt gezeigt zu bekommen. So wie ich früher manchmal Freunde durchs Ruhrgebiet geführt habe. Als wir Francis’ Vater in Gando besuchten, habe ich wieder dieses andere Zeitmaß gespürt. Zur Begrüßung standen wir bestimmt zwanzig Minuten nur so rum – und es tat sich nichts. Ich wurde nervös und wollte meine Geschenke überreichen. Aber Francis sagte: »Bleib ruhig jetzt! Wenn du ihm Geschenke gibst, heißt das, dass du gehen willst. Geschenke überreichen kommt hier ganz am Schluss. Bleib einfach stehen.« Tja, dann standen wir da rum. War ziemlich anstrengend, dieses Warten, dieses Gefühl von Peinlichkeit, verzweifeltes Überlegen, wie man ins Gespräch kommt. Aber diese Momente gehören eben dazu und sie sind so wertvoll! Das müsste man mal in Europa einführen: Beim Treffen erst mal fünf Minuten stehen, in die Ferne schauen oder den anderen angucken, nichts sagen, einfach nur warten und keiner weiß genau, wie es wird. Der Hektiker, der es nur ruckizucki will, fällt dann halt unangenehm auf.
Dass die Zeit da unten anders tickt, ist wahrscheinlich wirklich der Grund, warum es mich immer wieder nach Afrika gezogen hat. Die Zeit beginnt erst in dem Moment, wenn man tätig wird – dazwischen gibt es Ruhephasen, fast wie die Dunkelphase zwischen den Bildern. Die Zeit fängt erst an, sich zu bewegen, wenn ich mich bewege. Bis zu dem Moment ist es ein Warten, aber ein produktives. Da ist man dann in einer Art Existenz, in der man sich nicht mehr so sehr von der Welt um einen herum unterscheidet.
Das Wichtigste aber war die Erfahrung in der wunderschönen Schule, die Francis in Gando gebaut hat und für die er den Aga-Khan-Architekturpreis bekommen hat. Das Großartige an dem Gebäude ist, dass die Leute selbst an dem Ding mitgebaut haben. Da kam nicht irgendein Experte, hat da was hingeklotzt und ist wieder abgefahren, sondern der Geist und die Seele der Leute sind mit eingeflossen in das Gebäude. Das wird auch im Operndorf so sein. Die Beuys’sche Idee einer sozialen Plastik fand ich ja schon immer toll. Der Gedanke zündete vielleicht deshalb nicht, weil man immer dachte, man muss das Ding erst bauen. Aber für mich ist inzwischen klar, die soziale Plastik ist schon da. Die Leute, die Steine auf dem Kopf tragen und da hinkommen, machen sie sichtbar. Man sollte also nicht hingehen und sagen, wir bauen jetzt hier eine soziale Plastik, so, bitte sehr. Das ist es eben nicht, sondern diese soziale Plastik ist schon vorhanden – es geht nur darum, sie sichtbar zu machen.
Und als ich die kleinen Knirpse beim Schreibenlernen gesehen habe – Schule rappelvoll, muss jetzt angebaut werden, weil inzwischen auch die Kinder aus den Nachbardörfern kommen –, war das ein gewaltiges Erlebnis für mich. Wenn ein Buchstabe kommt, kann man es im Kopf der Kinder explodieren hören. Das surrt, das brummt, das zirpt – und dann plötzlich, wummm, ist es da, das Z, das F, das A. Man spürt richtig, wie der Kopf bebt, es ist wie ein Zukunftsfeuerwerk, weil die Kinder wissen, dass sie demnächst aufschreiben können, wo sie waren, wo sie hingehen, was sie vorhaben, was sie fühlen. Sie können Tagebuch führen, ein Archiv ihres Lebens und ihrer Kultur aufmachen. Der Blick in die glücklichen Gesichter dieser Kinder war es eigentlich – spätestens in dem Moment war klar, dass das Operndorf kein jenseitiges Projekt bleiben muss. Nach der Kamerun-Reise hatte ich noch den Gedanken – sicher weil ich so wacklig war, aber auch weil ich natürlich immer zweifle –, dass das Opernhaus Afrika nicht in der Realität zu verwirklichen ist, sondern nur im Jenseits stattfinden kann. Aber in dieser Schule in Gando dachte ich dann,
Weitere Kostenlose Bücher