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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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gab, die irgendwelche Pipelines verlegte und das Ganze aus der Luft überwachte. Und so habe ich denen einfach gesagt, ich sei ein junger Filmemacher und bräuchte für eine Szene einen Hubschrauber, in den jemand einsteigen und wegfliegen kann. Hat geklappt!
    Ich bekam immer alles heraus, weil ich rumtelefoniert habe wie ein Irrer. Mein Vater musste einmal eine Telefonrechnung von, ich glaube, 600 Mark bezahlen, weil ich in Hollywood bei einem dieser Filmstudios angerufen hatte, um zu fragen, was für eine Lampe sie benutzen und wo man die bestellen kann. Mein Vater war supersauer. Nicht nur wegen des Geldes, sondern auch weil es bei uns nur einen Telefonanschluss gab; das heißt, wenn ich oben in der Wohnung telefonierte, um meine Filme zu organisieren, dann war mein Vater unten in der Apotheke von der Medikamentenbestellung abgeschnitten. Wenn er das merkte, dann war er auf hundertachtzig. Aber eine halbe Stunde später war’s meist wieder gut, da musste er lachen und fand’s wohl auch toll, was ich da alles in Bewegung brachte.
    Der »Graf von Kaunitz« war ein richtiger Erfolg, lief zweimal in der Schulaula, im Stadtkino, bei den Oberhausener Kurzfilmtagen wurde er sogar in irgendeinem Sonderprogramm gezeigt. Da war alles da: Hubschrauber, Verfolgungsjagd, Filmmusik – knapp am »Tatort« vorbei, würde ich sagen. Und keine Doppelbelichtungen. Aber die Filme hatten andere Probleme. Die Groschenromane, die wir als Vorlage verwendet haben, operieren nämlich mit unzähligen Rückblenden. Das heißt: Es geht mit der Gegenwart los, man will sich gerade gemütlich in der Geschichte einrichten – und zack: Nach einer Minute springt die Geschichte in die Vergangenheit. Und das geht dann immer so weiter.
    Wie markiert man da den Unterschied? Wie zeigt man »jetzt« jemanden, der »früher« dies und jenes erlebt hat? Wie überblendet die Vergangenheit die Gegenwart und wie kann man das kenntlich machen? Und was passiert, wenn man nur alle zwei Wochen Geld für Filmmaterial hat oder nur am Wochenende drehen kann, weil man in der Woche keine Zeit hat? Dann geht der Kommissar mit langen Haaren und gelbem T-Shirt in den Verhörraum – und kommt mit kurzen Haaren und grünem T-Shirt wieder raus, weil er inzwischen beim Friseur war und sich neue Klamotten gekauft hat.
    Man lernt also: Es gibt Anschlussfehler. Und dass man die unbedingt vermeiden muss, sonst wird man ausgelacht. Ich hatte, mit 15 glaube ich, ein paar Fernsehredakteure vom WDR zu meinen Eltern nach Hause eingeladen. Die Redakteure kamen tatsächlich und sahen sich »Das Totenhaus der Lady Florence« an. Der Film war völlig ernst gemeint, aber die Leute vom Fernsehen saßen da und lachten sich kaputt. Das war natürlich der Dolchstoß für mich, das Gelächter der Redakteure hat mich damals ziemlich fertiggemacht.
    Aber irgendwann auch Widerstand erzeugt. Denn dieses verzweifelte Beschwören der Kontinuität, der Geradlinigkeit, des Eins-nach-dem-Anderen ist ja eigentlich viel absurder als die absurdesten Anschlussfehler. Im Film wie im Leben. Durch die Probleme bei der Filmerei habe ich wahrscheinlich ziemlich früh begriffen, dass wir es auch im Leben permanent mit Diskontinuität, mit Brüchen und Fehlern, mit drohender Instabilität und Chaos zu tun haben. Und dass alles noch komplizierter wird, weil wir diese Diskontinuität nicht zulassen wollen, weil wir ein unstetes, widersprüchliches Leben partout nicht akzeptieren wollen. Viele Leute plagt ja das diffuse Gefühl, von anderen nicht richtig wahrgenommen zu werden. Mich natürlich auch. Ich glaube, dass das viel damit zu tun hat, dass wir immer nur ein einzelnes, hübsch gerahmtes Bild darstellen sollen. Und wenn es schon mehrere Bilder sein müssen, dann bitte nicht gleichzeitig, sondern schön ordentlich hintereinander. Das heißt, ich werde belichtet – und zack: Ich bin heute Abend alternativ, heiße Joschka Fischer, bin beim Parteitag der Grünen und habe einen Strickpullover an. Den Joschka Fischer, der mit tiefer Stimme und in dunklem Anzug und Krawatte irgendetwas weltpolitisch Wichtiges organisiert, gibt es erst morgen wieder. Und übermorgen den, der mit Otto Schily in Italien bei der Olivenernte ist. Eins nach dem anderen, saubere, akkurate Schnitte dazwischen, bloß keine Verschmelzungen.
    Aber so ist es eben nicht.
    Bei den Oberhausener Kurzfilmtagen war ich in deren Jugendmediengruppe dabei. So zwischen 12 und 15 muss ich da gewesen sein. Die Kurzfilmtage selbst waren für mich

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