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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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damals aber nicht so interessant. All diese Dokumentarfilmer mit ihrem politischen Anspruch, die uns mit der Verfilmung einer Straßenbahnfahrt durch Leipzig mal den Ostblock in seiner Einsamkeit zeigen wollten – da hakte es bei mir immer aus. Mit diesem ganzen politischen Wahn, der da in den Siebzigerjahren unterwegs war, wollte ich nichts zu tun haben. Und das Gehabe dieser Jugendgruppe fand ich einfach nur grauenhaft. Oft sind wir mit so einem riesigen Aufnahmegerät losgezogen, um irgendwelche politisch total brisanten Berichte über das Leben im Ruhrgebiet zu drehen. Da wurde die Essener Lichtburg gestürmt und die Kassenfrau mit der Kamera mal richtig zur Rede gestellt, warum sie nur diese imperialistische Scheiße aus Amerika zeigen würde, warum keine deutschen Filme laufen würden. Ich fand das widerlich. Habe auch gleich einen Streit angefangen und gesagt, sie sollten mal aufhören, die arme Kassenfrau zu bedrohen, ich fände das unangenehm, sie hätte ja wohl gar nichts damit zu tun. Doch, sie sei ja die Verkäuferin dieser Scheiße, sie sei Bestandteil des Systems und müsse sich gegen ihren Arbeitgeber stellen, hieß es. Aber das kann die doch gar nicht, dann kriegt die doch einen aufs Dach, habe ich die Frau verteidigt. Von da an war ich ziemlich umstritten, ich weiß noch, dass mich einer von denen richtig scheiße fand. Balou hieß der und war dummerweise auch noch Leiter der Pfadfindergruppe, bei der ich mitmachte. Für den war ich ein verwöhntes Bürgersöhnchen. Stimmte ja auch: Ich war ein Bürgersöhnchen, ich war durch meine Eltern finanziell abgesichert – trotzdem finde ich, dass ich in der Sache mit der Kassenfrau recht hatte.
    Ich habe halt damals schon den Impuls gehabt, Harmonie zu zerstören. Und bei den Kurzfilmtagen, wo die Leute immer genau zu wissen glaubten, wieso ein Film gerade politisch wertvoll ist, habe ich immer auf allem herumgehackt, was den anderen gefiel, um anschließend so sehr darunter zu leiden, dass ich mich entschuldigen musste. Ich bin von meiner Mutter zwar erzogen worden, beinahe zwanghaft die Wahrheit zu sagen, hatte aber dennoch stets das Gefühl, dass es zwei Seiten der Medaille gibt. Wenn meine Mutter mich früher fragte, ob das Essen schmeckt, konnte ich nie sagen: »Ja, es schmeckt.« Ich habe immer gesagt: »Kann sein, kann aber auch nicht sein.«
    Im Kino war ich natürlich so oft wie möglich. Auch in Filmen, die damals total umstritten waren. Zum Beispiel »120 Tage von Sodom« von Pasolini: Mit hochgestelltem Kragen habe ich mir mit 15, 16 eine Karte im Gloria, im kleinsten Kino Oberhausens, erschlichen, weil man ja eigentlich erst ab 18 Jahren reindurfte. Dann saß ich da im Kino, dachte plötzlich, ich sehe meinen Griechischlehrer, und bekam Schiss. Nach einer halben Stunde, ich glaube, während der Szene, in der sie die Scheiße mit Nägeln drin essen, bin ich aufgestanden und habe laut fluchend den Kinosaal verlassen. »So eine Unverschämtheit! Eine Unverfrorenheit! So ein Scheißfilm!«, habe ich gebrüllt, um zu rechtfertigen, dass ich da anwesend war. Dann bin ich auf die Straße und mehrere Stunden mit superschlechtem Gewissen durch die Stadt geirrt. Weil ich Angst hatte, dass mein Lehrer schon zu Hause bei meinen Eltern angerufen hat. Aber dann stellte sich heraus, dass er gar nicht im Kino war, und vier Tage später bin ich wieder hin und habe den Film ganz geschaut. Geekelt habe ich mich, mich wahnsinnig schuldig gefühlt, aber ich fand ihn großartig. Immer wieder musste ich in den Film gehen.
    Bei »Der Exorzist« war ich noch etwas jünger, da kam ich mit allen Tricks nicht ins Kino rein. Aber ich habe mir den Film im Foyer angehört, bestimmt dreimal. Das heißt: Ich saß da, hörte die Töne und die Bilder dazu liefen in meinem Kopf ab. Das war sensationell. Ich mag ja auch heute noch Hörspiele sehr, sehr gerne. Später, als ich den Film dann gesehen hatte, fand ich ihn immer noch toll, aber längst nicht so toll wie den Film in meinem Kopf.
    Die Tonspur hatte ich schon bei meinen Kinderfilmen immer vermisst. Das waren Stummfilme, sie mit Ton zu drehen, war zu teuer. Also kam das Problem auf: Wie bekommt der Film einen Ton? Mit 10, 11 habe ich sie manchmal auf unseren Fernseher projiziert: das Bild ausgeschaltet, aber den Ton laufen lassen. Die Asynchronität erzeugte sogar manchmal Synchronität, ein großartiger Vorgang. Ganz aufgeregt war ich dann, habe meine Mutter gerufen und wollte ihr das vorführen: Das hättest du sehen

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