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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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müssen, da war die Tür synchron, da ist es spannend geworden durch die Musik, da war’s plötzlich witzig wegen der Dialoge. Ich glaube, das war eine ganz wichtige Erfahrung für mich zu merken, wie Fremdmaterial eine neue Ebene hineinbringt und das eigene Material neu belichtet. Aber ich konnte es eben nicht wiederholen, es war ein Zufallsgenerator. Immer wenn meine Mutter kam, klappte es nicht, da lief dann gerade die Tagesschau. Doch auch wenn der Ton nicht zu den Bildern passte, er hat die Bilder erweitert und in einer Art und Weise autonom werden lassen, dass ich nicht eingreifen konnte.
    Diese Autonomie, die durch den Zufall entsteht, finde ich großartig. Zum Beispiel beim »Fliegenden Holländer« in Manaus: Wir hatten da eine Drehbühne auf der Bühne, die von Hand gedreht werden musste, weil kein Motor zur Verfügung stand. Es gab aber nur zwei Funkgeräte und unsere Frequenz war außerdem noch vom Polizeifunk belegt. Da saß dann der Typ am Inspizientenpult, schrie in das Funkgerät »Drehen, jetzt drehen!« und gleichzeitig wurde irgendein Polizeieinsatz durchgegeben. Ein totales Stimmengewirr. Der auf der Bühne war sowieso meist im Halbschlaf, und wenn er die Ansage trotzdem hörte, war es oft zu spät: »Was? Ah, okay! Drehen, ja gut.« Da wurden die Sänger dann schon mal mitten in der Szene weggedreht. Und der Holländer kam durch die Tür und suchte seine Kollegen: Hallo? Hallo?
    Das mit der Drehbühne klappte fast nie auf den Punkt genau. Aber genau das war so wertvoll: Das Leben war plötzlich wieder da, der Zufall. Wie bei der Geschichte mit den Trommlern. Irgendwann hatte ich auf der Probe mal gesagt, dass ich es toll fände, wenn bei der Verlobungsszene die Trommler aus den Favelas in den Saal kommen würden. Das hatte ich aber völlig vergessen. Während der Premiere sitze ich also da und frage mich plötzlich: »Was ist das denn für ein Lärm da draußen? Was ist denn da los?« Da geht die Tür auf – genau in dem Moment, wo der Vater sagt, es wird geheiratet – und vierhundert Trommler kommen rein und trommeln, sodass fast der Stuck runterfällt und der Dirigent aufhört zu dirigieren. Diese Trommler waren der Hit. Einige Wagnerianer haben ein bisschen die Nase gerümpft, aber die meisten fanden es toll. Plötzlich war da etwas passiert: nicht durch genaue Rechenkunst, sondern durch Asynchronität. Und ich bin sicher, dass Richard Wagner vor Begeisterung kurz aus seinem Grab gestiegen ist. Denn die Wagnerianer beschwören ja dauernd eine Geradlinigkeit und Folgerichtigkeit in Leben und Werk Richard Wagners, die es so nie gegeben hat. Wo man hinschaut, nur Scheitern bzw. Umwege. Irgendwann waren plötzlich die Juden schuld. Und zu guter Letzt ließ er sich und sein Festspielhaus von einem bekloppten bayerischen König finanzieren. Alles nicht gerade das, was man sich unter dem Lebensweg eines deutschen Genies vorstellt. Also muss wahrscheinlich alles, das Leben, das Werk, die Inszenierung, so lange umgebogen werden, bis es in die Schablone passt – und dann wird bis zur Erstarrung fixiert. »Herr Schlingensief, Sie müssen fixieren!« war der Satz, den ich in Bayreuth permanent zu hören bekam.
    Bei »Mensch, Mami, wir dreh’n ’nen Film!« fing ich schon an, die Dreharbeiten so zu organisieren, dass man nicht mehr zu Hause in Oberhausen war, sondern woanders hinfuhr. Dieses Weg-Sein wurde später sehr wichtig für mich: raus aus dem normalen Kontext, irgendeinen abgeschiedenen Ort finden, dann alle da rein und warten, was untereinander passiert. Für »Mensch, Mami, wir drehn ’nen Film« sind wir in den Sommerferien nach Much in die Nähe von Bonn gefahren. Meine Mutter ist in Much aufgewachsen und ihre Schulfreundin Elfriede hatte dort eine Pension und Gastwirtschaft, in der wir wohnen konnten. Und da Tante Elfriede nicht da war, hatten wir die ganze Pension für uns. Mit 16 war das natürlich großartig: Da wurde gesoffen, da wurde geknutscht und ich weiß nicht, was – es war wirklich alles möglich. Aber morgens um acht Uhr war ich derjenige, der alle aus den Betten trieb und gesagt habe, wir drehen jetzt.
    Und dann kam halt dieses Desaster mit dem WDR-Redakteur, der nach der Filmvorführung behauptete, ich würde niemals einen Menschen lieben können. Dieser Satz ist so in mir eingebrannt, dass ich bis heute ganz vorsichtig bin, wenn ich mit Kindern rede. Und damals habe ich verzweifelt überlegt: Wie kann ich denn endlich mal beweisen, dass ich lieben kann? Ich war auch

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