Ich weiß, ich war's (German Edition)
unterschrieben. Da gab’s ein bisschen Streit, aber irgendwann sagte mein Vater dann: »Ist in Ordnung, mach halt, was du willst.« Im nächsten und übernächsten Jahr lagen die Unterlagen allerdings wieder da – so schnell wollte er wohl doch nicht aufgeben.
In München bin ich dann in ein Haus geraten, das meine Eltern in einer Zeitungsannonce entdeckt hatten. Da stand: Apotheker vermietet Zimmer. Meine Eltern behaupteten, das kann nur gut sein. Apotheke im Haus sei super. Außerdem hieß die Apotheke des Vermieters auch noch Herz-Jesu-Apotheke! Das war interessant, weil wir in Oberhausen in der Nähe der Herz-Jesu-Kirche wohnten und ich dort jahrelang Messdiener war. Deshalb sagten meine Eltern: Das passt! Und ich fand’s, glaube ich, auch nicht so schlecht. Man sucht sich in der Fremde halt doch oft einen Ort, den man irgendwie schon zu kennen meint. Also bin ich in dieses Haus eingezogen, vierter Stock, Dachgeschosszimmer. Ich hatte Strom, aber kein Wasser. Mein Nachbar hatte Wasser, dafür aber keinen Strom. Er war hauptsächlich auf der Straße unterwegs und kam meist mitten in der Nacht nach Hause, sturztrunken. Dann versuchte er entweder seine Türe einzutreten oder sägte irgendwie an seinem Schloss rum, brüllte dabei ständig: »Wos für a Scheißdreck« – und ich stand vor Angst senkrecht im Bett. Ich hatte bis dahin ja immer nur zu Hause gewohnt und kannte so etwas nicht.
Dieses Haus mit der Herz-Jesu-Apotheke war wirklich sehr abwechslungsreich. Im dritten Stock wohnte eine Prostituierte, die immer ihren Schal aus dem Fenster hängte, wenn sie fertig war. Der Schal war also das Zeichen dafür, dass der nächste Freier kommen konnte. Wenn er drin war, war sie beschäftigt. Erika hatte aber auch einen Mann, die beiden waren eigentlich ein Herz und eine Seele, aber mindestens zweimal in der Woche brach eine heftige Prügelei zwischen denen aus. Einmal fand ich sie im Treppenhaus, sie konnte nicht mehr laufen, war ziemlich blutverschmiert, mindestens ein Bein war gebrochen. Glücklicherweise wohnte in dem Haus eine Krankenschwester, was auch passte, weil meine Mutter ja auch mal Kinderkrankenschwester war. Zusammen mit dieser Krankenschwester habe ich Erika ins Krankenhaus geschafft, ziemlich fertig hat mich das gemacht – aber das Gute war: Als ich den Mann ein paar Tage später sah, trug der so ein Korsett am Oberkörper und eine Halskrause, an der der Kiefer irgendwie festgeschraubt war. Erika hatte also zurückgeprügelt.
Es war wirklich alles sehr laut in diesem Haus, aber ich gewöhnte mich langsam dran. Zumal ich bald sowieso kaum noch zu Hause war. Nicht, weil ich fleißig zur Uni gerannt wäre. Das mit dem Studium funktionierte nicht, ich fand die Räume nicht, und wenn ich sie fand, verstand ich nicht so recht, was da unterrichtet wurde. Das einzige Seminar, was ich mit Begeisterung besucht habe, war ein Hörspielseminar bei Jürgen Goslar. Immerhin eine Ausbildung, die ich richtig zu Ende gemacht habe. Ich habe ja auch einige Hörspiele produziert, die sind sogar richtig erfolgreich gewesen, ich hab sogar Preise dafür bekommen.
Filmseminare gab es in München ganz wenige, fast immer ging es ums Theater, das mich damals überhaupt nicht interessierte. Nur an ein Seminar über Stummfilme kann ich mich erinnern: Da ging es um »Cabiria«, einen der ersten Monumentalfilme, für den Gabriele D’Annunzio das Drehbuch geschrieben hatte und der vor allem kameratechnisch revolutionär war. Da sieht man einen der ersten Kameraschwenks der Filmgeschichte: Als der Kameramann einen kleinen Lavastrom, der den Ätna herunterkam, filmte, ruckelte er ein bisschen mit der Kamera nach links. Wahrscheinlich aus Reflex: Ach, scheiße, die Lava fällt mir aus dem Bild. Als der Regisseur das sah, kam er auf die Idee, einen Kamerawagen zu bauen, der das Bild zum Fließen bringen konnte, und ließ sich diese Erfindung patentieren. Das fand ich interessant. Aber nicht dieses Gerede über Shakespeare oder über Goethe. Das war nicht mein Thema und da habe ich auch nichts verstanden. Das heißt, ich habe schon etwas verstanden, aber scheinbar immer das Falsche. Schon in der Schulzeit war ich gestraft, weil meine Interpretationen regelmäßig falsch waren. Ich dachte immer, das ist interessant und das ist interessant; aber die Lehrer sagten: »Was soll das für eine Interpretation sein? Das ist völliger Quatsch, und das ist auch völliger Quatsch.« Nur mein Kunstlehrer war da anders, der sagte immer: »Ja,
Weitere Kostenlose Bücher