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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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die Arbeit ist sehr gut, Sie haben die Unterschiede zwischen synthetischem und analytischem Kubismus schön sauber dargestellt, das ist alles wunderbar erklärt, ich würde sagen: eine glatte Vier.« Oder er sagte: »Das ist falsch, das ist auch falsch, ich würde sagen: eine Eins minus.« So hat er uns permanent durcheinandergebracht. Das hat mir gefallen, das gab es an der Uni nicht.
    Also bin ich fast nur noch ins Kino gelaufen, bestimmt dreimal am Tag: 15, 18, 21 Uhr, Sendlinger Tor. Und mein größtes Glück war, dass ich irgendwann Franz Seitz kennenlernte. Der verfilmte auf dem Bavaria-Gelände gerade »Doktor Faustus« mit Jon Finch als Adrian Leverkühn, André Heller als Satan und Hanns Zischler als Dr. Serenius, Herbert Grönemeyer spielte irgendeine Minirolle. Und ich durfte als Kameraassistent dabei sein – das war der Traum! Von da an war ich eigentlich nur noch auf diesem Filmgelände unterwegs, nebenan drehte Wolfgang Petersen »Das Boot«, da durfte ich mal zuschauen. Fassbinder hatte ich schon ein, zwei Jahre zuvor kurz gesehen, ich glaube, beim Dreh von »Lili Marleen«. Der Produktionsleiter hatte mir erlaubt, ihn eine halbe Stunde lang durch die Glasscheibe zu beobachten. Für Fassbinder war bei mir inzwischen echtes Interesse ausgebrochen, natürlich wegen der Filme, aber auch weil ich sehr mochte, wie er Interviews gab, wie er sich da so lässig rumlümmelte. Und dann sah ich durch die Scheibe, wie er im Studio stand und auf irgendetwas wartete: die rechte Hand bis zum Popoloch in der Unterhose, sich genüsslich kratzend, in der linken Hand eine Zigarette. Dann kam Hanna Schygulla: Er nahm die Hand aus der Unterhose, schüttelte ihr kurz die Hand und steckte sie danach gleich wieder hinten rein. Dann ging’s los mit drehen, aber da musste ich auch schon wieder gehen.
    Als ich merkte, dass das mit der Uni definitiv nichts für mich ist, habe ich es noch einmal bei der Filmhochschule versucht. Diesmal wollte ich schlauer sein und habe den Vater von Wim Wenders angerufen und ihn gefragt, ob er mir helfen könne, an seinen Sohn ranzukommen. Wenders’ Vater war Chirurg in Oberhausen-Sterkrade und ich dachte: Apotheker, Arzt, das ist doch alles eine Clique, also ruf ich da mal an. »Guten Tag, ich bin der Sohn des Apothekers von der Schlingensief-Industrieapotheke am Altmarkt und möchte auf die Filmhochschule in München.« Er war wohl ein wenig verwundert, aber sehr freundlich: »Ach so, ah ja, die Apotheke, die kenne ich, ja, ja. Und was soll ich jetzt tun?« »Ich brauche die Hilfe Ihres Sohnes, weil ich will doch auf die Filmhochschule.« Und dann hat Wenders’ Vater tatsächlich seinen Sohn angerufen und mir am nächsten Tag erklärt: »Mein Sohn ist in Venedig bei den Filmfestspielen. Wenn Sie da hinfahren, können Sie ihn sprechen. Treffpunkt übermorgen, 14 Uhr auf dem Lido im Hotel Excelsior an der Bar.«
    Als ich meinen Eltern davon erzählte, waren sie toll und haben mir sofort das Geld gegeben. Also bin ich mit dem Nachtzug nach Venedig, mit dem Vaporetto rüber auf den Lido, Punkt 14 Uhr war ich in diesem berühmten Hotel und wartete auf so einem Barstühlchen, total nervös. Und tatsächlich, fünf nach zwei kam Wim Wenders rein. Mit Isabella Rossellini! Ich war eh schon völlig durch den Wind, Venedig, Filmfestspiele, Hotel Excelsior – und dann noch die Rossellini. Neben ihr Wim Wenders, ich fand die Filme nicht so toll, trotzdem schoss mir nur noch durch den Kopf: »Ooooh! Der Wenders! Ooooh! Mit der Rossellini!« Irgendwann hatte ich mich dann etwas beruhigt, ging auf die beiden zu und tuschelte ganz vorsichtig: »Guten Tag! Ich bin der Sohn des Apothekers in Oberhausen und würde so gerne auf die Filmhochschule. Ist das möglich? Können Sie mir helfen?« Ich weiß noch, dass ich immer wieder ganz leise getuschelt habe: »Kann ich vielleicht auf die Filmhochschule? Können Sie mir helfen?« Plötzlich waren bestimmt zwanzig Fotografen um uns herum, wahrscheinlich weil es sich schon herumgesprochen hatte, dass Wenders für seinen Film »Stand der Dinge« den Goldenen Löwen bekommen würde. Und ich rutschte da als Knirps aus Oberhausen vor Wenders fast auf den Knien: Kann ich auf die Filmhochschule? Geht das? Kann ich auf die Filmhochschule? Dabei immer: Oooh, die Rossellini, oooh, der Wenders. Und überall um mich herum Blitzlichtgewitter. Ich bin fast zusammengeklappt, ich war komplett durch, als Wenders mich endlich erlöste: »Ja okay, dann ruf ich mal den Längsfeld an,

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